gesichtet #146: Tüte statt Training

Von Michel Schultheiss

Ob skurrile Graffiti, kommentierte Robidog-Säcke, merkwürdige Verbotsschilder oder Wilddeponien: So manche Überraschungen im Strassenbild sind nur kurzlebig. Diese Ode an den Cannabis-Konsum ist auch schon wieder verschwunden. Nun zündet das Model keine Tüte mehr an, sondern trainiert wieder fleissig.

Kein Fitness, nur Joints

Normalerweise ist Fitness-Werbung nicht bekannt für Humor und Satire. Es gibt aber auch (kurzlebige) Ausnahmen (Fotos: smi).

Man erinnere sich: Während Jahren überdeckte eine markante rosarote Scheibe die Sicht auf die strampelnden und schwitzenden Kunden. Kürzlich wurde das Fitnesscenter «Swiss Training» an der Vogesenstrasse umgekrempelt und als «basefit.ch» wieder eröffnet. Die pinke Wand im Basler St. Johann-Quartier ist also längst Geschichte. Stattdessen ziert nun eben jene Sportlerin die frisch renovierte Ecke – und mutierte für kurze Zeit zur Kifferin. Dass Politiker auf Wahlplakaten mit Schnäuzen und Zahnlücken versehen werden, ist ein alter Zopf. Doch Parodien einer Fitnesscenter-Werbung? Weniger alltäglich.

Auch wenn die Kritzelei «Kein Fitness, nur Joints» samt passender Illustration nichts Besonderes war und kürzlich wieder weggeschrubbt wurde, hat er immerhin während eines Wochenendes für so manchen Lacher bei den Passanten gesorgt. Eigentlich wäre das eine gute Werbung für das neu eröffnete Center gewesen. Schliesslich ist Fitness-Werbung nicht gerade für viel Humor bekannt. Im Gegenteil: Gerade die bier- oder eben «proteindrinkernste» Art, wie sie vermarktet werden, lässt wenig Raum für Pointen.

Kein Fitness, nur Joints 2

Ob das nun den unbekannten Nachtbuben bewusst war oder nicht: Mit ihrer Verhunzung haben sie gewissermassen ein Sakrileg begangen. Wie nämlich der Berliner Philosoph Byung-Chul Han feststellt, ist heute vieles auf Selbstoptimierung getrimmt: «Das Leistungssubjekt, das sich in Freiheit wähnt, ist in Wirklichkeit gefesselt wie Prometheus». In Augen von Han ist das Verhältnis zwischen Prometheus und dem Adler, der ihm die Leber zerfleischt, eines der Selbstausbeutung. Es gelte also nicht mehr die Disziplinierung, wie sie Michel Foucault einst beschrieben hat, viel mehr beute sich das unternehmerische Ich selbst aus.

Übertragen wir die Meinung Byung-Chul Hans von der Arbeitswelt mit all den Freelancern auf die Freizeit, so ergibt sich ein ähnliches Bild der dauernden Selbstoptimierung. Was könnte hier passender sein als ein Fitnesscenter? Die Bilderstürmer haben einen Tempel des Leistungsdenkens aufs Korn genommen –ausgerechnet ein Rauschmittel, das eben so gar nicht in dieses Schema passen will. Die heiligen Hallen der Selbstdisziplinierung wurden zumindest für einen Augenblick entzaubert. Und das erst noch mit einem simpel gestrickten Kifferwitz.


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