Versuch über das bedingungslose Grundeinkommen

von Luca Preite

 

Die eidgenössische Volksinitiative „für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ wurde im April 2012 medienwirksam lanciert. Gegenwärtig werden eifrig Unterschriften gesammelt und diskutiert. Kritiker beschworen den Untergang der Schweiz. Befürworter sprechen von einem innovativen, fairen und menschenwürdigen Impuls jenseits der politischen Links-Rechts Dichotomie. In diesem Essay geht es darum, das bedingungslosen Grundeinkommen als Konzept und Initiative kritisch zu reflektieren.

 

Der französische Soziologie Robert Castel befasst sich seit längerem mit der gesellschaftlichen Bedeutung und Entwicklung von Arbeit und Arbeitsverhältnissen. Seine Gedanken lassen sich nutzen, um mehr darüber zu erfahren, weshalb ein Grundeinkommen heute, nicht nur allen bedingungslos ein Einkommen sichert, sondern auch viele bedingungslos zur unter- und unbezahlten Arbeit verdammen kann.

 

Als einigermassen offener, junger, urbaner und gebildeter Mensch ist es heute eher obsolet, sich dem utopistischen und vorwärtsgewandten Impuls eines bedingungslosen Grundeinkommens entgegenzustellen; sich also der Unterschrift zu verweigern. Wie und weshalb, sollte man sich gerade dieser Idee querstellen? Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa und darüber hinaus, befristete prekärere Anstellungsverhältnisse, unbezahlte Überstunden, Praktika und Stress am Arbeitspatz, heisst es, seien Indizien dafür, dass die (Lohn-)Arbeitsgesellschaft an ihr Ende gerät. In diesem Kontext prophezeit sich das bedingungslose Grundeinkommen als innovative, gemeinschaftliche und unternehmerische Möglichkeit, der Arbeit seine gegenwärtige Sinnentleertheit zu nehmen. Die Initiative versteht sich als Bruch mit einer in ihrer Auffassung veralteten und traditionalistischen, gewerkschaftlichen Forderung nach „Recht auf Arbeit“. Stattdessen wird ein „Recht auf Einkommen“ eingeführt, in der Hoffnung, 2500.- CHF Einkommenssicherheit ermögliche jedem, sich dem zu widmen, was für ihnsie und dementsprechend für eine Gesellschaft Sinn macht. Alles Weitere, heisst es, werde sich zeigen und vor allem von alleine richten.

 

In „Die Krise der Arbeit“ betont der Soziologe Robert Castel[1] wie Arbeit über die Zeit durch Lohnarbeit, Arbeitsteilung, Technologie und Entfremdung trotz oder genau wegen seiner gegenwärtigen Verknappung wohl an Wert und Sinn verliert, nicht aber an seiner gesellschaftlichen Bedeutung: „Dass Arbeit knapper und unsicherer geworden ist, heisst nicht, das sie weniger nützlich und notwendig ist; eher das Gegenteil ist der Fall“ (Castel 2011:69). Seiner Meinung nach ist dies vor allem an den neuen inutiles au monde, den Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern unserer Gesellschaften ersichtlich; meiner Meinung nach alsbald auch an den kommenden (oder eben genau Nicht-)Erwerbstätigen, den jugendlichen Schul- und Hochschulabgängern. Castels Reflexionen ermöglichen zu verstehen, wie Verknappung der Arbeit, Bildungsexpansionen, Arbeitsmarktintegration und Partizipation als Tendenzen und Programme eng zusammengehen. Die Politik der Rückkehr zu einer Vollerwerbstätigkeit setzt in keiner Weise eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung aller voraus, geschweige denn die gesellschaftliche Anerkennung der Tätigkeit und Arbeit jener ausgeschlossen Integrierter. Letztlich wird ihnen lediglich ein unterklassiger, ein randständiger Arbeitsplatz zugesprochen. Arbeiten aber, das werden und müssen sie, sei es auch nur in der Arbeit, sich darum zu bemühen; denn Untätige bleiben in einer liberalen Gesellschaft stigmatisiert, mit oder ohne Grundeinkommen.

 

Wohl weiss Robert Castel um den möglichen Wert einer Einkommenssicherheit. Er weiss auch, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen Leistungsempfängern zugutekommen kann. Daraus folgert er, dass ein Grundeinkommen als Idee nicht kategorisch abzulehnen ist. Castel hat aber vor allem auch verstanden, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen eine erhebliche Degradierung vieler Arbeitsnehmerstatus besiegeln kann: „Es wird eine Schicht der Arbeitsteilung unterhalb der klassischen Lohnarbeit institutionalisiert, was dazu führt, das Arbeit als eine Tätigkeit gelten kann, die anders als der Arbeitsnehmerstatus nicht mehr die Grundvoraussetzung wirtschaftlicher und sozialer Unabhängigkeit sichern muss. Mit dieser philanthropischen Absicht, den Armen zu helfen kann […] also gleichzeitig […] jene Ideologie aufgefasst werden, die bedingungslos zur Arbeit treibt, auch wenn Arbeit dadurch fast jede Bedeutung verliert ausser der, dass sie für die Unternehmen nicht zu teuer sein darf.“ (Castel 2011:97) So und nicht anders sind wohlgemeinte unternehmerische Absichten eines Werner Götz und weiteren neoliberalen Befürworter des Grundeinkommens zu verstehen. Im Grundeinkommen sehen sie einen staatlich ausbezahlten Mindestlohn, um eigene Kosten zu senken und eigene Profite zu maximieren. Paradoxerweise lehrt uns die Geschichte, dass Individuumsfreiheit in Ungleichheit nur zu gut letztere verstärkt, weil sie Ungleiches gleich misst. Oder wie viele Erlösungen führen zu dessen Gegenteil, weil man als Initiant zu faul war, die Partikularität des eigenen Standpunktes im Glauben an einen Allgemeinheitsdienstes zu vergessen?

 

Als frischer Hochschulabgänger weiss ich um die Schwierigkeit, eine Arbeit zu finden trotz Bildungsabschluss. Mein partikularer Standpunkt erlaubt mir nicht zwingend über gesellschaftliche Verhältnisse zu urteilen; wohl aber lässt er mich einblicken, wie wir diese Phase erfahren. Es kratzt sehr an einem, keine Arbeit zu haben. Nicht so sehr des Einkommens wegen; unter Umständen ist dieses im zukünftigen oder gegenwärtigen Erben, im Jugendsparkonto oder in Form der Eltern sowieso schon gesichert, ganz unabhängig davon, wie der einzelne seine Situation beschreibt, oder genau dann dramatisiert. Unerträglich ist die Tatsache, untätig zu erscheinen. Arbeitslosigkeit wird vor allem als symbolischer Ausschluss erfahren: niemand zu sein, weil man niemand ist. Oder wie kommen junge Erwachsene dazu, ihre Kultur- und Kunstversuche als Arbeit aufzulisten, den CV zu fürchten, sich an Überarbeit zu ereifern und dabei noch ganz erpicht darauf zu sein, als ausgelastet zu gelten? Die Angst vor dem Ausschluss sitzt tief. Aber wie können wir eigentlich noch daran glauben, dass mit ein bisschen Mehrarbeit und Mehreinsatz alles gut kommt? Hat noch nie jemand daran gedacht, als er seine Stelle bekam, dass er oder sie nun jemand anderem zuvorgekommen ist?

 

Nochmals: Ich lehne ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht per se ab. Weder lasse ich mich von der Mär eines grundegoistischen Menschen beeinflussen, noch von der Panikmache einer Hängematte-Gesellschaft; eben genau nicht: Solange Arbeit, Stellenprozente und Projektbeteiligung gegenwärtig unter Unseresgleichen nicht geteilt, sondern als Tauschwert angehäuft werden, glaube ich nicht daran, in Einkommenssicherheit Freiheit zu erzeugen. Im Gegenteil; ich bin überzeugt davon, dass ein Grundeinkommen viele Institutionen, Unternehmen wie Privatleute davon befreien kann, ihrer gesellschaftlichen Aufgabe und Notwendigkeit nachzukommen arbeits-teilig, im Sinne von solidarisch, zu denken. Gemeinschaftlichkeit wird ausgelagert in 2500 Schweizer Franken – „mach’s gut“. Der vagen Hoffnung der Initianten, im bedingungslosen Grundeinkommen werde sich vieles zeigen und vor allem von alleine richten, schenke ich aus Überzeugung keine Überzeugung. Ich halte es eher mit Robert Castel, wenn er schreibt, dass es zwischen zwei Utopien zu unterscheiden gilt, nämlich zwischen einer, die an der Gegenwart anknüpft und einer, deren Konstruktion vorrangig auf die Zukunft setzt, weil sie von der Gegenwart nichts mehr erwartet. „Im letzteren Fall droht die Utopie zum Licht einer lichterlosen Welt zu werden, die sie so lässt, wie sie ist. Wir müssen aber vorrangig auf die Gegenwart setzen, weil nur sie den Ansatz zum Handeln bietet.“ (Castel 2011:90) Es wäre schade, die Forderung nach Arbeit in der Forderung nach Einkommen aufzugeben.

 

Literaturhinweis

Bourdieu, Pierre u. a. 2006. Eine illegitime Kunst Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt.

Castel, Robert. 2011. Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums. Hamburg: Hamburger Edition.

Castel, Robert. 2000. Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: UVK Universitätsverlag Konstanz.

Castel, Robert. 1979. Die psychiatrische Ordnung. Das goldene Zeitalter des Irrenwesens. Wissenschaftliche Sonderausg. Frankfurt a. M: Suhrkamp.

Castel, Robert. 2009. Negative Diskriminierung. Jugendrevolten in den Pariser Banlieues. Hamburg: Hamburger Edition.

 


[1] Robert Castel ist Forschungsdirektor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und Mitbegründer von GRASS – Group d’analyse du social et de la sociabilité. Er ist ein einflussreicher Soziologe Frankreichs. In den 1960er Jahren arbeitete er mit Pierre Bourdieu; zusammen mit Luc Boltanski und weiteren veröffentlichten sie damals ihre Studie über die Fotographie als neue und illegitime Kunst (Bourdieu u. a. 2006). Danach setzte sich Castel anlehnend an die Schriften Michel Foucaults mit den Psychiatrien und der Situation der Patienten auseinander (Castel 1979). Seit den 1990er Jahren beschäftigt er sich mit Transformationen der Arbeitsgesellschaft und des Sozialstaates (Castel 2000). In diesem Kontext erschien im Jahr 2011 sein aktuelles Buch „Die Krise der Arbeit“ in deutscher Übersetzung. Empfehlenswert ist ebenfalls seine essayistische Erörterung der Jugendrevolten in den Pariser Banlieues des Jahres 2005 (Castel 2009).

Einige Gedanken zu “Versuch über das bedingungslose Grundeinkommen

  1. Thomas

    Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens finde ich generell nicht schlecht, aber ich denke schon, dass sich dies aktuell überhaupt nicht umsetzen lassen würde. Dafür müsste sich doch noch einiges mehr in unserer Gesellschaft ändern.


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