gesichtet #153: Die rote Fabrik und eine Hütte im Kreisel
Von Michel Schultheiss
Verlassenes Sichtbacksteinmauerwerk. «Feo» prangt als grosser Graffitischriftzug darauf. Weiter vorne schlummern ein paar alte Kesselwagen auf überwachsenen Gleisen vor sich hin. In diesem eingezäunten Areal finden eine der wenigen Industrieruinen Basels. Geisterhäuser, Eisenbahn- oder Autofriedhöfe oder Fabrikleichen sind hier spärlich gesät. Es gibt sie aber – wobei sie hier denkmalgeschützt sind.
Zumindest ist das bei den besagten Pharma-Fabrikgebäuden der CIBA der Fall. Die fünf Bauten wurden zwischen 1946 und 1952 vom Architekturunternehmen Suter +Suter errichtet. Sie sind allesamt im Inventar der schützenswerten Bauten aufgeführt. Als «Denkmal der Basler Industriekultur mit städtebaulicher Bedeutung» werden sie dort beschrieben. Im Gegensatz zu anderen verlassenen Gegenden, die sich hervorragend unter dem Etikett «Urban Exploration» verkaufen liessen, soll diese «rote Fabrik» längerfristig auch in etwas Grosses eingebettet werden. Wie letztes Jahr bekannt wurde, dürfte hier eines Tages ein neues Quartier entstehen. Ein Areal von 300’000 Quadratmeter, heute im Besitz der Novartis und BASF, wird unter dem Namen Klybeckplus geöffnet.
Noch aber bildet diese Gegend eine ganz eigene Welt. Der Wiesenkreisel fungiert unfreiwillig als Knoten zwischen ganz unterschiedlichen Gegenden. Da wäre gleich vis-à-vis der CIBA-Fabrik die Kontakt- und Anlaufstelle, landläufig immer noch Gassenzimmer genannt. Auf der anderen Seite die toten Bahngleise der Deutschen Bahn mit den alten Stahlbrücken, die sich vom Hirzbrunnen bis Kleinhüningen, rund um die Langen Erlen, zu einer Eisenbahnwelt aus vergangenen Tagen verweben. Da wäre auch die Brücke, die zum Bässlergut beim Zoll Otterbach führt. Hier trifft man auf Asylsuchende auf dem Weg zur Empfangsstelle oder auf die ältere Dame, die mit einem Handwagen massenhaft Brot anrollt, um es den Enten zu verfüttern. Als Kontrast dazu liegt gleich gegenüber das neu errichtete Erlenmattquartier, welches von Unbekannten immer wieder mit der Spraydose als «Zombietown» betitelt wird.
Übrigens, mitten im Auge des Zyklons, gleich beim Wiesenkreisel wohnte bis vor kurzer Zeit sogar jemand. Ein portugiesischer Obdachloser baute sich beim Kreisel eine Hütte gebaut. Wie er sagt, wohnt er seit den Achtzigerjahren in der Schweiz. Er habe als Bäckerausbildung in Küche- und Gärtnereibetrieben gearbeitet. Notschlafstellen seien nicht so seine Sache, daher sein Hüttenbau am ungewöhnlichen Ort. Während der kalten Jahreszeit verschwand er wieder. Wo er jetzt stecken mag, ist nicht bekannt. Weder beim Kreisel noch bei der «roten Fabrik» war der Stadtnomade je wieder zu sehen.
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