Geschärfter Blick auf die Gesellschaft – Álex de la Iglesias «El bar»
Álex de la Iglesia ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Regisseure. Nach «Las brujas de Zugarramurdi» zeigt das B-Movie zum zweiten Mal einen Film des Meisters – vielleicht nicht seinen besten, aber doch ein sehr interessantes Werk, das u.a. auch viele Parallelen zu «La comunidad» bietet, dem Film, der im Stadtkino Basel im Rahmen der Carmen-Maura-Retrospektive zu sehen war.
Nach einem terroristischen Anschlag (oder handelt es sich etwa um etwas ganz anderes?) befinden sich völlig unterschiedliche Menschen in einer Bar und suchen nach einem Ausweg, nach einer Möglichkeit, zu fliehen – und sie überlegen sich, was denn überhaupt passiert ist. Ein Anschlag? Eine Verschwörung? Ist etwa alles inszeniert, gar von der spanischen Regierung selbst? Und was ist eigentlich mit diesem Hipster Nacho (Mario Casas)? Ist er wirklich ein PR-Typ – oder etwa ein islamistischer Agent? Die Wirtin Trini (Carmen Machi) ist skeptisch. Und Israel (Jaime Ordóñez), der aussieht wie ein Obdachloser, glaubt so oder so an eine höhere Macht, die alles lenkt…
Álex de la Iglesia ist einer der wichtigsten spanischen Regisseure, ja einer der wichtigsten zeitgenössischen Regisseure überhaupt. Trotzdem waren (laut procinema.ch) hierzulande nur gerade zwei seiner Filme im (kommerziellen) Kino zu sehen («Un crimen ferpecto» und «Balada triste de trompeta») – ein weiterer Film war bereits im B-Movie zu sehen: «Las brujas de Zugarramurdi». Weil de la Iglesia ein horroraffiner Regisseur ist, der gleichzeitig aber nicht 08/15-Genrefilme dreht, sind seine Filme weder für Arthauskinos noch für die rein kommerziellen Kinos von Interesse. Dabei ist de la Iglesia ein echter Autorenfilmer.
Der Film ist ein scharfer Blick auf unsere vernetzte, aber von Wahnvorstellungen zerfressene Gesellschaft. Israel steht dabei für eine traditionelle, religiös inspirierte Form des Wahns, die immer noch einflussreich ist und vielleicht auch in anderen Vorstellungen weiterwirkt. Die anderen Menschen in der Bar stehen für moderne, vermeintlich aufgeklärte Typen: da ist etwa der Werber Nacho mit seinem Hipsterbart. Der Law-&-Order-Typ, der den Menschen helfen will, indem er so viele Bösewichte umnietet wie nur möglich. Der Fetischist, der sich mehr für Unterwäsche interessiert als für die Frauen. Amparo, die sich vor allem für sich selber interessiert. Trini, die einfach in Ruhe ihre Bar managen will und dabei Israel gerne auch einen Kaffee spendiert.
Allzu plakativ wird de la Iglesia dabei aber nie: er macht ja keinen Agit-Prop. Vielmehr ist er – bei allen brachialen Versatzstücken – (auch) ein Regisseur der feinen Töne, der Zwischentöne, des Humors zwischen den Zeilen. Für besonders zart besaitete Geister sind seine Filme allerdings wohl nicht geeignet, da macht auch «El bar» keine Ausnahme. Wie dem auch sei: es ist Zeit für eine grosse de-la-Iglesia-Retrospektive!
«El bar». Spanien/Argentinien 2017. Regie: Álex de la Iglesia. Mit Blanca Suãrez, Mario Casas, Carmen Machi, Secun de la Rosa, Jaime Ordóñez, Terele Pávez, Joaquín Climent, Alejandro Awada u.a. Premiere am Freitag, 27. April 2018 im Filmclub B-Movie, Basel. www.b-movie.ch
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