Suche nach Harmonie – Hans Lukas Hansens «The Quest for Tonewood» und Nina Stefankas «Miraggio»

In Hans Lukas Hansens Dokumentarfilm sucht ein Geigenbauer in Italien das perfekte Holz. Seine Recherchen führen ihn nach Bosnien, wo die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht die einfachsten sind – ganz zu schweigen von der Gefahr, auf eine Personenmine zu treten … zur gleichen Zeit fliehen andere Menschen vor dem Krieg nach Italien. Einige von ihnen sehen wir in Nina Stefankas Dokumentarfilm.

Gaspar Borchardt stammt zweifellos aus deutschsprachigen Gefilden, er lebt und arbeitet aber schon lange in Italien. Dort werden auch die besten Geigen ausgezeichnet – doch dieses Jahr gehen er und seine Frau Sibylle leer aus. Er ist enttäuscht – will aber nicht aufgeben. Er will das perfekte Holz für seine Geige suchen. Seine Recherchen führen ihn nach Bosnien, wo er – zum für den Film ungewohnten Rap-Soundtrack – auf diverse Hindernisse stösst. Nicht zuletzt kann im Wald ein falscher Schritt den sofortigen Tod oder die Verkrüppelung durch eine Personenmine bedeuten …

Der  norwegische Originaltitel des Films lässt uns an nordische Wälder denken – doch diese kommen hier nicht vor. Auch sprachlich ist vor allem englisch und italienisch, daneben bosnisch zu hören.

Musikalisch dominiert natürlich die Klassik (Bach, Sibelius, Tschaikowski), doch in Bosnien sind mindestens drei (bosnische bzw. serbische) Rap-Tracks zu hören: «Ovdje» von Frenkie und King Mire, «Slatko Malo» von MC Yankoo und «To smo» von Crni Zvuk feat. Frenkie.

Dies nicht zuletzt als Symbol für die wenig harmonischen Verhältnisse in Bosnien, auch den immer noch präsenten Krieg. Und doch ist natürlich «The Quest for Tonewood» ein Film, in dem die Harmonie, der Wohlklang dominiert.

Ganz anders in Nina Stefankas schweizerisch-italienischem Dokumentarfilm. Nina Stefanka zeigt darin Szenen aus dem Leben von Flüchtlingen aus Libyen und Westafrika. Wir sehen, wie einer von ihnen seine Fitness trainiert, hinter ihm ein Tuch, auf dem steht : «I love shopping».

Wir hören die Geschichte von Yassine, dessen Vater in Gaddafis Armee war, der umgebracht wurde. Sein noch minderjähriger Sohn Yassine sah sich zur Flucht gezwungen.

Yassine ist der einzige der Porträtierten, der aus politischen Gründen flüchtete (und möglicherweise auch der einzige, der in seinem Land zu einer ethnischen Minderheit gehört). Bei den anderen war die Armut vermutlich der einzige Grund für ihre schreckliche Reise nach Italien.

Alle von ihnen sind desillusioniert von den Zuständen, unter denen sie in Italien leiden. Der einzige Kontakt zu Einheimischen ist der zu den Behörden. In der Schweiz wie auch in Italien wird alles gemacht, damit die Menschen aus dem Ausland die Staatskasse nicht belasten.

Welten treffen aufeinander in Nina Stefankas erstem Dokumentarfilm. (Bild: zVg)

Nina Stefankas Film zeigt einfach das triste Leben dieser Menschen. Sie erklärt nichts, es gibt nur wenig Struktur in diesem Film. Aber die Bilder sprechen für sich, die Erzählungen der vor Armut und Krieg Geflüchteten sprechen eine deutliche Sprache, die sicherlich kein Voice-Over oder andere Erläuterungen braucht.

«Miraggio» ist italienisch und entspricht dem französischen und englischen «mirage»: ‚Luftspiegelung, Illusion‘. Sind diese Menschen allein Opfer einer Fata Morgana, einer falschen Vorstellung vom Leben im «reichen Norden»?

Auch dies lässt die in Zürich aufgewachsene Nina Stefanka offen. Wir alle sollen uns unsere eigenen Gedanken machen. Was will Europa mit den Flüchtlingen? Ist es also richtig, gar keine Menschen aus dem Süden in den Norden zu lassen, da diese sonst nur den Rechtspopulismus und Rechtsextremismus befeuern würden? Oder wäre es doch besser, einen menschlicheren Umgang mit diesen Menschen zu pflegen?

Nina Stefanka hat mit ihrem Film jedenfalls völlig zu Recht den Preis für den besten Dokumentarfilm in Santa Barbara gewonnen. Der Film ist natürlich rauer als der ihres norwegischen Kollegen, weniger geschliffen, aber genau dies passt zum Thema.

«Jakten på Tonetreet». Norwegen/Niederlande 2021. Regie: Hans Lukas Jensen. Dokumentarfilm, mit Gaspar Borchardt, Sibylle Fehr-Borchardt, Janine Jensen u. a. Deutschschweizer Kinostart am 16. Dezember 2021.

«Miraggio». Schweiz 2020. Regie: Nina Stefanka. Dokumentarfilm, mit Sekou Coulibaly, Yassine Bah Daouda, Issa Dembele u. a. Deutschschweizer Kinostart am 9. Dezember 2021.


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