Familie und Gesellschaft im Umbruch – Carla Simóns «Alcarràs»

Grossartig inszeniert Carla Simón («Estiu 1993») Laien in Katalonien, deren Lebensgrundlage ihnen jäh entrissen wird – aus einem Ort der Landwirtschaft, wo Pfirsiche produziert werden, soll neu nur noch Solarstrom gewonnen werden. In Berlin als erster Film in katalanischer Sprache mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Die Familie Solé steht am Scheideweg: über Generationen haben sie Pfirsiche kultiviert, doch bald soll dort, wo noch Landwirtschaft betrieben wird, nur noch Energie gewonnen werden; und zwar via Fotovoltaik.

Die Landwirtschaft hat ausgedient – und dies, obwohl anders als in Huelva kein neues spanisches Stonehenge gefunden wurde. Nein, der Grundbesitzer hat sich entschieden, den (mündlich geschlossenen und deshalb so oder so ungültigen) Vertrag mit der Familie nicht zu erneuern …

Im Kreise der Familie. (Bild: zVg)

Die Familie Solé wird von Carla Simón liebevoll und in zahlreichen Facetten gezeigt: die Kinder, die noch ganz unbeschwert spielen und das Leben auf dem Land geniessen. Die etwas älteren Jugendlichen, die teilweise auch mithelfen beim Pflücken und in der Freizeit festen. Die Arbeitsmigranten aus Afrika, die wohl schneller als alle anderen pflücken. Die Teenager, die sich auf ihren grossen Auftritt beim Volksfest vorbereiten. Und die Erwachsenen, die sich Sorgen um die Zukunft machen, da der Inhaber, Herr Pinyol, alles infrage stellt.

Carla Simón legt hier ein grossartiges Bild einer Familie, ja einer ganzen Gesellschaft im Wandel vor, zwischen Folklore, zwischen dem einheimischen Katalanischen und dem Spanischen und dem Englischen, das in der Musik und im Falle des Spanischen natürlich auch im Berufsleben zu hören ist – wenn der Vater das Haus von Herrn Pinyol besucht und mit einer ihm unbekannten Frau redet, dann redet er natürlich auch Spanisch.

Ebenso mit den Migranten. Wenn die Jungen den Reggaetón oder technoide Sounds (Mákina?) hören, dann sind diese auch auf Spanisch (teilweise auch auf Englisch). «La patrona soy yo», rappt die junge Frau, die mit ihrem Hit immer wieder zu hören ist. Aber wer ist der Chef? Es ist Herr Pinyol; die Aprikosenbauern haben da gar nichts zu melden.

«Alcarràs» wurde in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, als erste katalanischsprachige Produktion überhaupt. Schon mit ihrem Début hat Carla Simón gezeigt, dass sie ein Talent ist. Mit ihrem aktuellen Film beweist sie, dass sie mehr als das ist: ein grosses Talent – eine wichtige Autorenfilmerin. Nicht verpassen!

«Alcarràs». Spanien/Italien 2022. Regie: Carla Simón. Mit Jordi Pujol Dolcet, Anna Otin, Xènia Roset, Albert Bosch, Ainet Jounou, Josep Abad u. a. Deutschschweizer Kinostart am 29. September 2022.


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