Rädchen im System – Radu Judes «Do Not Expect Too Much from the End of the World»

Radu Jude bleibt sich treu mit einem dreistündigen Werk über den Film und das Leben. Hauptfigur ist Angela, die Tag und Nacht unterwegs ist als Assistentin im Film-Business und daneben als Bobița unflätige, machistische Kurzvideos dreht, inspiriert von Andrew Tate.

Angela ist Taxifahrerin. Oder fast. Wie die «historische» Angela aus dem Film aus dem Jahre 1981 ist auch sie im Auto unterwegs. Ihre Klienten sind aber alles Menschen aus dem Film-Geschäft; sie ist Tag und Nacht unterwegs. Um sich – und andere – etwas abzulenken, dreht sie selber kurze TikTok-Videos, inspiriert von Andrew Tate und Machos aus dem eigenen Land. Sie besucht die frühere Taxifahrerin Angela, ihre Namensvetterin. Deren (ungarischer) Mann ist ein überzeugter Anhänger Viktor Orbáns

Radu Judes neuer Film ist ein grossartiges Panoptikum, ein Meta-Film, der es in sich hat. Er zeigt immer wieder Teile aus dem realsozialistischen Film «Angela merge mai departe» über die Taxifahrerin Angela. Die Protagonistin aus dem Film ist denn auch wirklich in Judes Film zu sehen; also in den neu gedrehten Szenen mit den zwei Namensvetterinnen; und auch Angelas Mann wird vom gleichen Schauspielern dargestellt wie vor vielen Jahren.

Uwe Boll hat einen Gastauftritt – ein Filmemacher, der auf eine völlig andere Art ebenso kompromisslos ist wie Radu Jude. Trashmeister Boll ist auch bekannt als «Son of Ed Wood», er ist spezialisiert auf Verfilmungen von E-Games und hat seine Kritiker schon im Boxring besiegt. 

Dr. Uwe Boll mit Angela in ihrer alternativen Inkarnation. (Bild: zVg)

Sicherlich können wohl die meisten Boll-Fans wohl nur wenig anfangen mit Radu Judes Monsterwerk – «für was habe dieser denn seinen Doktortitel», fragt jemand. «Was weiss ich, vielleicht in Filmkritik», sagt Angela. (Ein besonders witziger Seitenhieb gegen die Filmkritik – wie in «Un autre homme» von Lionel Baier, aber noch absurder!) Sowohl Boll als auch Jude sind aber in einem gewissen Sinne Rebellen im Kino-Zirkus …

… oder vielleicht müsste man eher sagen: Filmgeschäft. Denn Film ist eben auch Geschäft, und um dieses Kino geht es in Judes neuem Film. Es geht nicht um das subventionierte europäische Arthaus-Kino, also um Judes Kino, eine Art Kino, die es zum Glück gibt, das es aber ohne Subventionen so nicht geben würde; wie Schulen, Universitäten und Bibliotheken. In «Do Not Expect Too Much from the End of the World» geht es aber um etwas anderes: Es geht um PR-Kampagnen, um Filme für das Business, Filme, die das Business unterstützen sollen, um Imagekampagnen, Industriefilme usw.

Das ist zwar wieder etwas anderes als Bolls Kino, es ist auch etwas anderes als die TikTok-Videos, die Angela dreht. Natürlich ist das eine wohl ohne das andere nicht denkbar, auch Boll kriegt teilweise Subventionen, aber er ist nicht der einzige: von den Bauern bis zu anderen im kommerziellen Bereich tätigen Firmen, sie alle leben auch von den Zuschüssen des Staates. Nur Angela, die moderne Taxifahrerin, spürt davon kaum etwas: sie arbeitet rund um die Uhr; sie arbeitet ganz ohne direkte Subventionen.

In einer eindrücklichen Sequenz sehen wir in Judes Film, wie viele Menschen im Strassenverkehr sterben – der Stress, der Zwang, immer etwas schneller zu sein, spielt dabei sicher auch eine Rolle. Angela ist zwar Teil des Systems, sie selber muss aber immer schneller sein, von den Subventionen – und den Profiten – bleiben für sie nur Peanuts übrig. Durch ihre Tätigkeit stützt sie ein ausbeuterisches System; wie die Taxifahrerin Angela Ceaușescus Mörderstaat gestützt hat. Und ob ihre TikTok-Videos den Machismus subvertieren – oder doch nur weiterschreiben?

Radu Jude ist ganz klar einer der wichtigsten Filmemacher unserer Zeit. Einen Oscar wird er für seine Filme wohl nie kriegen – immerhin startet am 16. Februar eine Retrospektive seines Schaffens im Stadtkino Basel. Nicht verpassen! Am 28. Februar und an weiteren ausgewählten Daten ist auch Judes aktueller Film im Stadtkino Basel zu sehen.

«Nu aștepta prea mult de la sfârșitul lumii». Rumänien/Frankreich/Luxemburg/Kroatien 2023. Regie: Radu Jude. Mit Ilinca Manolache, Ovidiu Pirşan, Katia Pascariu, Dorina Lazar, Nina Hoss, Sofia Nicolaescu, Uwe Boll, László Miske u. a. Deutschschweizer Kinostart am 29. Februar 2024; im Stadtkino Basel am 28. Februar 2024.


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