Zehntausend Kilometer auf dem Motorschlitten

Der Münchner Bestsellerautor Bernd Späth ist fasziniert von der Arktis. Für ihn gibt es kein Entrinnen aus dieser mystischen Landschaft. Allenfalls schreibend lässt es sich mit einer so schroffen, lebensfeindlichen Umwelt umgehen, Wie Andy Strässle im Zeitnah-Interview herausfand.

 

Zeitnah-Mitarbeiter Andy Strässle hat sich mit dem Münchner Erfolgsautor Bernd Späth zum ausführlichen Gespräch über das Schreiben und die Eiswüste getroffen.

 

Bernd Späth, wie schwer war es für Sie, Oklahoma zu schreiben, dieses Scheitern an der Menschlichkeit darzustellen?

 

Dieser Roman hat mich mehr geschlaucht als jedes andere meiner Werke. Ich war jedes Mal, wenn ich den Rechner ausschaltete, fix und fertig. Dazu kam noch, dass mich beim Schreiben massive Todesahnungen peinigten. Die schwere Herzerkrankung, die mich ein Jahr später fast erledigt hätte, kündigte sich offenbar schon aus dem Unbewussten heraus an, ohne dass ich die Zeichen wahrnehmen wollte.  – Für mich ist das Buch damit  auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Unbewussten, und es hat mich seelisch damals an jede Grenze getrieben. – Das neu entstehende Opus allerdings ist auch nicht gerade ein Erholungsurlaub. Eine besonders makabre Anekdote ist, dass ich bei der Szene, in der sich Hagen umbringen will, nachts in meinem Arbeitszimmer saß und mir den Lauf meines Gewehrs in den Mund schob, um Hagens Empfindungen besser zu verstehen. Just in dem Moment kam meine Frau ins Zimmer. Den weiteren Verlauf des Gesprächs  beschreibe ich hier lieber nicht.

 

Wieso kann sich Morten nicht befreien, was ist das Schicksalhafte bei ihm?

 

Morten ist so schicksalhaft wie Sie oder ich. Er hat einfach nichts selber zu  entscheiden, denn entscheiden tut nur die Arktis. – Und sie will ihn nun einmal. Für mich war es stets ein ungeheures Privileg, mich in dieser monumentalen Landschaft aufzuhalten. Doch dafür ist nicht jeder gebaut. Und selbst wenn, sie holt sich immer wieder die Erfahrensten und Besten. Ich habe Geschichten mitbekommen, wo man die Leichen eines sehr arktiserfahrenen Paars aus dem Packeis hacken musste. Ein anderer versank vor den Augen seiner Freunde mit seinem gesamten Schlittengespann im Eis. Und der Sohn meines Arktisführers hat sich mit 25 Jahren aus lauter Übermut den Kopf beim russischen Roulette weggeschossen, im elterlichen Wohnzimmer, mit der Waffe seines Vaters. Die Arktis besitzt immer eine irrationale, mystische Dimension. Man kann ihr von einem Moment zum nächsten einfach zum Opfer fallen. Und wer dorthin geht, der weiss darum und akzeptiert es.

 

Ein Wort zu den Frauenfiguren. Wieso sind die Frauen so reduziert gezeichnet?

 

Das sind zwei und nicht alle. Im Übrigen haben die sich schon selber reduziert, wie oft genug im richtigen Leben. Literarisch betrachtet, geben diese Charaktere natürlich wesentlich mehr her als die verständnisinnigen Edelgoscherln aus dem ARD- und ZDF-Abendprogramm. Entsprechend beschissen ist das ja auch.

 

Warum gibt es im Eis nie ein Happy End, Morten stirbt, als er sich entschliesst, seine zänkische Frau zu verlassen, und in Oklahoma erfrieren Vater und Sohn?

 

Für die Happy Endings wenden Sie sich bitte an Frau Courts-Mahler. Fakt ist, dass das Leben einem immer wieder brutalst möglich dazwischen haut. Und dass gerade der Arktis der Mord ins Gesicht geschrieben steht, war stets meine Lesart. Entsprechend vorsichtig war ich auch immer.  – Am Ende steht nun mal der Tod und nicht die Auferstehung. Abgesehen davon ist für Geschichten, bei denen am Ende alle glücklich in die Kamera strahlen, das deutsche Fernsehen zuständig. Mich haben immer nur die echten, existenziellen Tragödien interessiert, die einem das letzte Blut herausquetschen. Aber wenigstens „Russki gutt?“ hat kein tragisches Ende, sondern nur ein melancholisches. Schon mal ein Fortschritt, oder?

 

Ist die Arktis so eine Art Femme Fatale oder mindestens verschluckt sie alles Menschliche?

 

Ich habe immer gesagt: Arktis ist wie eine schöne Frau mit dem Charakter einer Schlampe. Man kann ihr restlos verfallen und wundervolle Zeiten mit ihr verbringen. Am Ende sticht sie einen trotzdem in den Rücken. Aber das berührt ja auch eine Grundsatzfrage im Leben: Will man es brav und berechenbar, oder zieht es einen an die Grenzen und Abgründe? Bei mir war es stets Letzteres. Der Preis war entsprechend, aber das Leben wurde nicht dazu entworfen, uns ruhige Zeiten zu bescheren. – Glück ist eher der Spin-Off, und meist nicht sehr beständig.

 

„Mein Leben war insgesamt so spannend und dramatisch, dass andere nur davon träumen können.“

 

Worin liegt für Sie der Reiz, Geschichten aus dem ewigen Eis zu schreiben?

 

Ich bin nach rund zehntausend Kilometern auf dem Motorschlitten schlicht übervoll mit Bildern, Geschichten und Erlebnissen. Dazu kommt die existenzielle Dramatik, die mich fasziniert, weil sie einen Grossteil meines eigenen Lebens geprägt hat. Ich war grade mal vier, als mein Vater versuchte mich umzubringen. In die Einzelheiten will ich nicht gehen, aber damit sind schon mal ein paar Dinge bis zum Lebensende geregelt. Also schreibe ich keine Unterhaltungsliteratur. Ich war in der Arktis ein paar Mal jenseits der Bruchgrenze, und im „realen“ Leben genauso. Darüber beschwere ich mich nicht. Mein Leben war insgesamt so spannend und dramatisch, dass andere nur davon träumen können. Da bleiben ein paar Narben, logisch. Als ich mit 31 das erste Mal aus Spitzbergen zurückkam, habe ich mir sofort 32 Bände Jack London kommen lassen und fast alle gelesen. London ist letztlich vor die Hunde gegangen, trotzdem ist er mir lieber als jeder deutsche Ministerialbeamte.

 

Können Sie sich vorstellen, literarisch in die Arktis zurückzukehren?

 

Ich war nie weg. Außerdem habe ich mir noch einen arktischen Roman-Plot notiert. Der ist allerdings erst fällig, wenn ich in zwei bis drei Jahren den Arabienroman abgeschlossen habe.

 

Woran arbeiten Sie denn gerade?

 

Ich habe Mitte der 90er-Jahre einen gestürzten arabischen Herrscher beraten, der mit allen Mitteln zurückwollte an die Macht. Sein Putschversuch ging brutal in die Hose, und am Ende gab es einen Schauprozess mit 117 Angeklagten, 19 Todesurteilen und 17-mal lebenslänglich. Der Hauptangeklagte wurde extra für den Prozess aus einem arabischen Land gekidnappt. Das ist kein schlechtes Thema für einen Roman.

Bernd Späth, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Interview Andy Strässle


 

Bücher:

Bernd Späth, „Gibt es Eis in Oklahoma?“ Roman (IL-Verlag, Basel)

Bernd Späth, „Mortens langer Marsch“ (IL-Verlag, Basel)

Einige Gedanken zu “Zehntausend Kilometer auf dem Motorschlitten

  1. Jutta Rudorf

    Hallo lieber Bernd Späth, danke für die Übersendung. WOW, bin nun sehr gespannt, mehr über alles zu hören/lesen. Drum bis bald, freue mich Jutta Rudorf


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