gesichtet #8: Totentanz im Tattoo-Shop

Von Michel Schultheiss

Früher oder später sucht der Sensemann einen jeden heim. Auch vor Tätowierten macht er keinen Halt – obschon sie ihm oft mit ihren Motiven die Ehre erweisen. Dieser Tattoo-Shop an der Feldbergstrasse in Basel verspricht, dass die Wartezeiten kurz sein werden. Der grimmige Totenschädel, welcher gleich daneben grinst, unterstreicht dies bestens. Als eine Art Memento mori, ein «Bedenke, dass du sterben musst», wacht er im Schaufenster und erinnert daran, dass auch etwas derart aufs Körperliche Gerichtetes wie eine Tätowierung letztendlich zum Verfall bestimmt ist.

 

Vielleicht ist das knöcherne Liebespaar im Schaufenster eine Art unbeabsichtigte zeitgenössische Übernahme der Vanitas-Allegorie: Schönheit und Verfall verbinden sich.

Vielleicht ist das knöcherne Liebespaar im Schaufenster eine Art unbeabsichtigte zeitgenössische Übernahme der Vanitas-Allegorie: Schönheit und Verfall verbinden sich (Foto: smi).

«Bedenke, dass du sterben musst» – und dies ohne Warteschlange. Das erinnert an die im Deutschunterricht jeweils ausgeteilten Epochen-Blätter. Von deren Inhalte sagt man an der Uni, dass man sie vergessen soll, ohnehin sei es überholt, von Epochen zu sprechen. Wie diese Blätter weismachten, steht das Memento mori, für die Barockzeit – obschon es eigentlich aus dem hochmittelalterlichen Mönchslatein kommt und damals im klösterlichen Leben ein Begriff war. Mit dem Wüten der Pest im 14. Jahrhundert hatte diese Todesmahnung nochmals Hochkonjunktur. Doch im Barock wurde das Memento mori wieder aufgegriffen, zum Beispiel in den makabren Gedichten des Andreas Gryphius. Eng verbunden mit dem Memento mori war auch der Gedanke der Vanitas, der Vergänglichkeit des Irdischen – ebenfalls ein Begriff, der auf dem besagten Barock-Epochenblatt der Schule zu lesen war. Vielleicht ist das knöcherne Liebespaar im Schaufenster eine Art unbeabsichtigte zeitgenössische Übernahme der Vanitas-Allegorie: Schönheit und Verfall werden auch hier nach barocker Art miteinander verbunden.

Noch mehr als bei den heutigen Tattooshop-Betreibern war man sich im Mittelalter der Nähe von Körperlichkeit und Todesahnung bewusst: Einst prangte der «Tod von Basel» als Memento mori an der Friedhofsmauer der Predigerkirche. Der berühmte Totentanz aus aus dem 15. Jahrhundert verlotterte jedoch und wurde schliesslich abgebrochen. Heute sind noch Reste davon im Historischen Museum zu sehen. Derweil grinsen aber die Totenschädel weiter – nun auf der anderen Seite der Johanniterbrücke. Im Basel des 21. Jahrhunderts grüsst nun der Knochenmann aus einem Tattooladen – dass er den lebenden Kunden nicht lange warten lässt, glaubt man ihm gern.

 

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