„Das ungebrochene Land“
von Claudia Kohlus
Lassen Sie sich von Claudia Kohlus‘ Gedicht „Das ungebrochene Land“ auf die See, durch Zeiten wie über Gezeiten, entführen; verführen zu dem alterslosen Traum von der nach tage- und nächtelangem Törn erreichten Insel. Oder hat man die Insel etwa gar nie verlassen? Das Meer jedenfalls ist hier das Vergessen, das Boot ein Gefäss der Erinnerung.
Es waren nicht drei Haselnüsse
es waren drei Fischschuppen, ich fand sie
in meiner Hosentasche am Ende
des Ährenmonats. Als ich an Bord ging
hob Mutter nur kurz ihren Kopf, ich dagegen
schaukelte trotzig durch die Nacht
In einen Schwarm aus Perlmuttträumen
eine Prinzessin, einst eingenäht
in gelbe Nachmittage, so segelte ich
durch einen Immersommer
während umherfliegende Augenpaare
wie Wolken von Stechmücken
um meinen Körper sirrten
Tagein, tagaus mit der Hand vor Augen
erblickte ich Neuland, gespannte Erwartungen
formierten sich und zogen in Wogen
über meine Kindheit hinweg. Plötzlich
lag ich wie ein gestrandeter Kalmar
im warmen Sand und wusste
weder Arme noch Beine zu bewegen
Wo war das Schiff? Wo war ich selbst
als sich die Kontinente teilten
als Brücken brachen im Chaos meiner Innenwelten
und schwarze Löcher hinterliessen. Wo
waren die Fluchtwege, wo die Route zurück
ins abgebrannte Nimmerland
Böen fegten über den Strand
und trugen Sirenenrufe mit sich
wie akustische Kuckuckseier
verstopften sie meine Ohren. Dennoch:
ich konnte das Metronom in meinem Kopf hören
bemerkte Mutters wackelnden Zeigefinger
der ungefragt in meine Zukunft mahnte
Ich liess sie gewähren
kühlte meine Wut wie meine Lippen
am Grund des Meeres, in das ich tauchte
um nach Argumenten wie nach Muscheln
zu suchen. Was ich jedoch fand
waren nicht drei Haselnüsse
es waren drei Fischschuppen
in denen sich das ungebrochene Land spiegelte
– dort konnte ich mich verstecken
Claudia Kohlus, 1972 in Berlin geboren und dort aufgewachsen, lebte einige Zeit in London und Seattle, seit 2005 in Augsburg. Ihre Gedichte wurden in Anthologien (zum Beispiel „Jahrbuch der Lyrik“ oder in den „Texten des Monats“ des Literaturhauses Zürich, 2011) und Literaturzeitschriften (manuskripte, lauter niemand, umlaut, dum et cetera) veröffentlicht. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie einige Preise und Stipendien, zuletzt den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg 2012. Ihr Gedichtband „blumenmob“ erschien 2010 bei Fixpoetry, derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Band, der 2013 erscheinen wird.
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