„Das ungebrochene Land“

von Claudia Kohlus

Lassen Sie sich von Claudia Kohlus‘ Gedicht „Das ungebrochene Land“ auf die See, durch Zeiten wie über Gezeiten, entführen; verführen zu dem alterslosen Traum von der nach tage- und nächtelangem Törn erreichten Insel. Oder hat man die Insel etwa gar nie verlassen? Das Meer jedenfalls ist hier das Vergessen, das Boot ein Gefäss der Erinnerung.

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“Zeitnah: Kulturmagazin seit 2012″ schätzt sich glücklich, Ihnen an diesem Texttag Claudia Kohlus‘ Gedicht „Das ungebrochene Land“ zu präsentieren.

 

Es waren nicht drei Haselnüsse

es waren drei Fischschuppen, ich fand sie

in meiner Hosentasche am Ende

des Ährenmonats. Als ich an Bord ging

hob Mutter nur kurz ihren Kopf, ich dagegen

schaukelte trotzig durch die Nacht

 

In einen Schwarm aus Perlmuttträumen

eine Prinzessin, einst eingenäht

in gelbe Nachmittage, so segelte ich

durch einen Immersommer

während umherfliegende Augenpaare

wie Wolken von Stechmücken

um meinen Körper sirrten

 

Tagein, tagaus mit der Hand vor Augen

erblickte ich Neuland, gespannte Erwartungen

formierten sich und zogen in Wogen

über meine Kindheit hinweg. Plötzlich

lag ich wie ein gestrandeter Kalmar

im warmen Sand und wusste

weder Arme noch Beine zu bewegen

 

Wo war das Schiff? Wo war ich selbst

als sich die Kontinente teilten

als Brücken brachen im Chaos meiner Innenwelten

und schwarze Löcher hinterliessen. Wo

waren die Fluchtwege, wo die Route zurück

ins abgebrannte Nimmerland

 

Böen fegten über den Strand

und trugen Sirenenrufe mit sich

wie akustische Kuckuckseier

verstopften sie meine Ohren. Dennoch:

ich konnte das Metronom in meinem Kopf hören

bemerkte Mutters wackelnden Zeigefinger

der ungefragt in meine Zukunft mahnte

 

Ich liess sie gewähren

kühlte meine Wut wie meine Lippen

am Grund des Meeres, in das ich tauchte

um nach Argumenten wie nach Muscheln

zu suchen. Was ich jedoch fand

waren nicht drei Haselnüsse

es waren drei Fischschuppen

in denen sich das ungebrochene Land spiegelte

– dort konnte ich mich verstecken


Claudia Kohlus, 1972 in Berlin geboren und dort aufgewachsen, lebte einige Zeit in London und Seattle, seit 2005 in Augsburg. Ihre Gedichte wurden in Anthologien (zum Beispiel „Jahrbuch der Lyrik“ oder in den „Texten des Monats“ des Literaturhauses Zürich, 2011) und Literaturzeitschriften (manuskripte, lauter niemand, umlaut, dum et cetera) veröffentlicht. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie einige Preise und Stipendien, zuletzt den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg 2012. Ihr Gedichtband „blumenmob“ erschien 2010 bei Fixpoetry, derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Band, der 2013 erscheinen wird.


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