Wo ist Peter Pan?

Wie viele Graphic Novels gibt es, die in den verschneiten Walliser Alpen kurz vor 1930 spielen? Coseys Auf der Suche nach Peter Pan ist wohl die bislang einzige. Und nicht nur darum umso lesenswerter.

Die Geschichte dreht sich um Melvin Z. Woodworth, einen englischen Schriftsteller mit serbischen Wurzeln. In dem fiktiven Bergdorf Ardolaz sucht er die Spuren seines verstorbenen älteren Halbbruders Dragan und Inspiration für einen neuen Roman.

Der Komponist Dragan soll einst im Grand Hotel des Ferienorts an seinem grössten Werk, der „Alpensymphonie“, gearbeitet haben, bevor er durch einen Unfall ums Leben kam. Jahre später reist Melvin zu Saisonbeginn ebenfalls dorthin und findet nach und nach die Wahrheit über das heraus, was ihm während seiner Kindheit in London erzählt wurde.

Doch die Zeit drängt: Oben am Pass knurrt und atmet der Gletscher, Gerüchten zufolge soll er schon einmal ein Dorf unter sich begraben haben. Das durchdringende „KRRRRRAK“ der Eismassen erschüttert die Chalets in Ardolaz immer heftiger – was die Dorfbewohner seltsamerweise nicht weiter beunruhigt.

 

„Cosey gelingt es, die Dynamik einer modernen Graphic Novel mit der Beschaulichkeit und Mühe des damaligen Lebens in den Alpen zu verknüpfen und dies bis zum grossen Finale aufrechtzuerhalten.“

 

Im Verlauf der Geschichte kommt Melvin hinter das Geheimnis eines von der Polizei gesuchten Bergsteigers und entdeckt einen versteckten Lärchenwald. Weiter durchforscht er nachts das anscheinend verlassene Grand Hotel, immer auf der Spur einer schönen Fremden und eines Pianisten, der Dragans Werke sehr genau kennt. Es geht um echte Glücksschweine, um das grosse Geld und Goldadern in Gletscherspalten, aber das wohl Beeindruckendste an dieser Graphic Novel ist die Kulisse.

 

Brüchige Strassen, gewaltige Natur

 

Melvins Begegnung mit seiner Vergangenheit findet am Rande der Zivilisation statt, abgeschieden von uns sowohl in Raum als auch in Zeit. Die Protagonisten fahren auf hölzernen Skis durch ungepflügten Pulverschnee, mangels Pistenbegrenzungen könnten sie jederzeit über einen Steinhang oder in eine Gletscherspalte stürzen. Abends nach der frühen Dämmerung sitzt man zusammen in der Wirtshausstube oder zieht sich ins schmale Pensionszimmer zurück, nur Öllampen und Kerzen bringen ein wenig Licht in die finstere Nacht. Es herrscht eine schöne, aber auch bedrohliche und einsame Atmosphäre in jenem Bergtal, wo die Postkutsche und brüchige Strassen im Fels den einzigen Kontakt zur Aussenwelt bieten. Cosey lässt die Natur immer wieder in den Vordergrund treten, macht sie zu einem gewaltigen Rahmen, der die Geschichte umschliesst.

Auf der Suche nach Peter Pan erschien erstmals kapitelweise zwischen 1983 und 1984 im Tintin. Das von Hergé lancierte Magazin wurde während fast 50 Jahren herausgegeben. Nebst der bekanntesten, titelgebenden Figur erschienen auch zahlreiche weitere Comics episodenweise darin. Der Verlag Cross Cult legt nun eine Gesamtausgabe von Coseys Graphic Novel in überarbeiteter Auflage vor.

Am Anfang und am Ende von Auf der Suche nach Peter Pan findet sich jeweils eine recht umfangreiche Einführung und Entstehungsgeschichte der Graphic Novel. In der Einführung wird das Wallis mit zeitgenössischen Fotos vom Bergleben um die Jahrhundertwende und Skizzen des Autors porträtiert, welcher am Schluss des Buches selbst zu Wort kommt und in einem Interview im Anhang über seine Motive und Vorbilder spricht. Der an der deutschen Übersetzung beteiligte Redakteur Volker Hamann beschreibt Cosey als „Zeichner der Stille“, und tatsächlich beginnt Melvins Suche nach der Wahrheit sehr ruhig, fast schon bedächtig.

 

Grosses Finale, kleine Liebesgeschichte

 

Die Spannung hält sich zuerst im Hintergrund, ist förmlich im Gletschereis verankert, doch schon ab dem zweiten Kapitel verhüllen Nebel und wochenlanger Schneefall das kleine Bergdorf Ardolaz, der Gletscher rumort bald jeden Tag. Die Ereignisse verzweigen sich und spitzen sich immer mehr zu, ohne dass die Geschichte ihre Ruhe verliert oder übertrieben wirkt. Cosey gelingt es, die Dynamik einer modernen Graphic Novel mit der Beschaulichkeit und Mühe des damaligen Lebens in den Alpen zu verknüpfen und dies bis zum grossen Finale aufrechtzuerhalten. Da verzeiht man auch die Liebesgeschichte, die vielleicht ein wenig eingeschoben wirkt und zu glatt abläuft.

Dennoch: Auf der Suche nach Peter Pan ist eine packende Reise in die Vergangenheit vor den Zeiten von Skilifts und Massentourismus, die uns manches Mal schmunzeln oder staunen macht.

 

zVg

Auf der Suche nach Peter Pan
Cross Cult
Autor: Cosey
ISBN: 978-3-941248-33-5
Fester Einband
Anzahl Seiten: 151
ca. CHF 44.50
Erstmals erschienen am 3.3.2009

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