Karl Schmid – Porträt eines Schweizer Citoyens

Von Daniel Lüthi

Ein echtes Schwergewicht von einer Biografie, das ein breites Stück Schweizer Geschichte abdeckt: «Karl Schmid (1907–1974). Ein Schweizer Citoyen» von Thomas Sprecher ist nicht immer ein leichtes Lesevergnügen, aber in jedem Fall ein neues Standardwerk.

Thomas Sprechers Biografie setzt sich neutral, doch intensiv mit Karl Schmid und der Schweizer (Nach)Kriegszeit auseinander. zVg

Thomas Sprechers Biografie setzt sich neutral, doch intensiv mit Karl Schmid und der Schweizer (Nach)Kriegszeit auseinander. zVg

Scheinbare Widersprüche

Sucht man nach Schweizer Persönlichkeiten, die die Zeit um den Zweiten Weltkrieg entscheidend mitgeprägt haben, denkt man zuallererst an Henri Guisan. Neben dem General und Initiator der fast schon legendären Réduit-Strategie stehen jedoch weitere Personen, deren Einfluss auch in den Nachkriegsjahren nicht zu unterschätzen ist. An dieser Stelle fällt unweigerlich der Name Karl Schmid.

Das vielleicht entscheidendste Merkmal im Leben von Karl Schmid sind die zahlreichen Widersprüche, die er jedoch stets von Neuem miteinander zu verknüpfen weiss. Geboren am 31. März 1907 in eine ebenso liebevolle wie auch patriarchalische Zürcher Familie ist er als Kind sensibel und eher schwächlich – was ihn nicht daran hindern sollte, an Turnfesten stets der Beste zu sein. Bei der Wahl des Studiums stellen sich erste Zweifel an diesem doppelten Ehrgeiz. Er kann nicht beides machen, sondern muss sich entscheiden:

Zur Germanistik zog mich die Freude am Geistigen, an der Kunst, am Wort, an der Wirkung in die Ferne […]

Zur Medizin zog mich etwas ganz anderes, […] tiefe Überzeugung, sozusagen pessimistische, von der Fruchtlosigkeit und Bagatellhaftigkeit aller schöngeistigen und schulischen Tätigkeit. Überzeugung, dass Tun, und zwar menschlich helfendes Tun, das Nötigste sei.

Trotz der späteren Reue, sich bestimmt auch auf Druck des Vaters für Germanistik entschieden zu haben, ist hier bereits der Kern von Schmids innerer Antriebskraft und scheinbarer Widersprüchlichkeit zu erkennen.

ETH und Zweiter Weltkrieg

So bietet auch der Ruf an die ETH Zürich und anschliessende Professur für deutsche Sprache und Literatur Gelegenheit für Schmid, zur humanistischen Bildung angehender Architekten und Ingenieure beizutragen. Seine Vorlesungen sind offene Dialoge: Romantheorie wird sinnvoll mit naturwissenschaftlichen Begriffen erweitert – Schmid sieht keine Grenze zwischen den schönen Künsten und pragmatischer Forschung, sondern verbindet sie miteinander.

Seine wohl wichtigsten Beiträge zur Geschichte der Schweiz entstammen seiner Militärkarriere. «Der Soldat und der Tod» gilt heute noch als Zeitdokument der Mobilmachung 1939 und Echo der Geistigen Landesverteidigung General Guisans. Dieser ist von Schmids «Über die Gestalt des Soldaten» dermassen beeindruckt, dass er sich in einem Brief persönlich bei ihm bedankt. Schmid nimmt in diesem Bändlein bereits 1944 die wandelnde Rolle des Soldaten im Schatten der Atombombe vorweg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgen weitere Meilensteine: Schmid wird Rektor der ETH Zürich und veröffentlicht Texte, die das Zeitgefühl der Schweiz in den 1950er und 1960er Jahren kritisch-konservativ reflektieren. Er hält u.a. Kontakt zu den Schriftstellern Max Frisch, Hermann Hesse und Thomas Mann, welcher aufgrund der Freundschaft mit Karl Schmid der ETH seinen literarischen Nachlass schenkt und so den Grundstein für das Thomas-Mann-Archiv legt. Bis zu seinem Tod 1974 bleibt Karl Schmid am Zeitgeschehen beteiligt und äussert sich zu Themen wie Schweiz und Europa, Atomwaffen und der 68er-Bewegung.

Ein akademisches Porträt

«Karl Schmid (1907-1974). Ein Schweizer Citoyen» liest sich flüssig und ist gut recherchiert, eignet sich als wissenschaftliche Biografie jedoch eher für Historiker als für ein grösseres Publikum. Das Leben Schmids wird weder beschönigt noch getadelt und steht weit entfernt von jenen häufig als sensationell geschilderten Schicksalen anderer Zeitgenossen, die sich manchmal fast wie Abenteuerromane lesen. Das Buch ist eine im besten Sinne neutrale Biografie – ohne grosse Überraschungen, dafür mit geschichtlicher Tiefe.

Schmid verkörperte geradezu perfekt die Schweizer Mitte; meist im Hintergrund von grösseren Persönlichkeiten wie General Guisan oder Thomas Mann, dennoch von einflussreicher Bedeutung. Gleichzeitig war er ein Mann voller Widersprüche, der das Militär trotz seiner Karriere nie glorifizierte und ungeachtet seiner patriarchalischen Erziehung dem Frauenstimmrecht nicht völlig ablehnend gegenüberstand. Der eingangs erwähnte Gegensatz von Denken und Tun beschäftigte Schmid sein Leben lang und trieb ihn ungemein produktiv zwischen den beiden Polen hin und her. Hierin steckt die eigentliche Faszination der Person Karl Schmids, die sich aber vielleicht erst auf den zweiten Blick ergibt.

«Karl Schmid (1907-1974). Ein Schweizer Citoyen»
von Thomas Sprecher
Verlag Neue Zürcher Zeitung
492 Seiten
CHF 48.-
ISBN: 978-3-03823-827-0
Erschienen am 3.4.2013


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