«Die Zikaden» von Ingeborg Bachmann – 1. Teil aus Elias Fausers «Wertloser Bibliothek»
Im ersten Teil seiner Serie «Die wertlose Bibliothek» wirft Elias Fauser von www.offjournal.de einen Blick auf Ingeborg Bachmanns Hörspiel «Die Zikaden».
Als 1955 im NWDR das Hörspiel «Die Zikaden» von der in Neapel lebenden Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gesendet wurde, war der Krieg seit zehn Jahren vorüber. Bachmann, aus Klagenfurt stammend, erlebte Hitlers Einmarsch in Österreich als abruptes Ende ihrer Kindheit. Es lässt sich nur mutmassen, ob hierdurch ihr früher Traum der reinen Poesie geschürft wurde und Distanz in ihre Schriften fuhr, unsicheres Zwischenräuspern, eine Sehnsucht nach Harmonie und die damit verbundene Härte und Verbitterung ihrer Absenz.
«Die Zikaden» beschreibt die Dystopie einer Insel. Das Stilmittel des Entfliehens und des Traums von Glück im Neuen und Isolierten wird ohne Rücksicht entlarvt. Romantischer Eskapismus sieht fürwahr anders aus. Medium des Terrors im Idyll sind die Zikaden, monoton und siren – menschlicher Gesang aus längst verkommener Zeit? Über einen epischen Erzähler lässt Bachmann in das Hörspiel einleiten:
«Es erklingt eine Musik, die wir schon einmal gehört haben. aber das ist lange her. Ich weiß nicht, wann und wo es war. Eine Musik ohne Melodie, von keiner Flöte, keiner Maultrommel gespielt. Sie kam im Sommer aus der Erde, wenn die Sonne verzweifelt hoch stand, der Mittag aus seiner Begrifflichkeit stieg und in die Zeit eintrat. Sie kam aus dem Gebüsch und den Bäumen. Denk dir erhitzte, rasende Töne, zu kurz gestrichen auf den gespannten Saiten der Luft, oder Laute, ausgetrockneten Kehlen gestossen – ja auch an einen nicht mehr menschlichen, wilden, frenetischen Gesang müsste man denken. Aber ich kann mich nicht erinnern. Und du kannst es auch nicht. Oder sag, wann das war! Wann und wo?»
Wenn eine Insel das scheinbare Kollektiv rahmt, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass Gemeinsamkeit gewollt ist. Auf der namenlosen Insel ist das Gegenteil der Fall: selbstgewollte Isolation, Unzufriedenheit und Sozialneid. Robinson, der Gefangene, Mrs. Helen Brown, Mr. Charles Brown, Prince Ali, Jeanette, Stefano; alle wollen sich freimachen von der Last des Festlandes. Zugereiste, deren Reisemotiv nicht der Aufbruch, sondern die Flucht war.
Lakonisch, nahezu ironisch, beschreibt Bachmann die parallelen Existenzen der Insulaner. Einziger Botschafter und Bindeglied ist Antonio, der jeden kennt und jedem hilft – aber die wirklich drängenden Fragen Sinnhaftigkeit gleichgültig verneint. Es bleibt die unerbittliche Erkenntnis, dass die Flucht auf die Insel den Personen zwar kurzfristige Linderung brachte, tief verwurzelte Gewalt allerdings in ihren Köpfen mit auf die Insel kam. Ihr insulares Leben führen sie vor dem Hintergrund ihrer Vergangenheit. Ihr Habitus spiegelt sich im schemenhaft erkennbaren Festland. Ihr Handeln ordnet sich der fiktiven Vorstellung vom früheren leben unter und reflektiert sich als Endlosschlaufe in der Zeit, Zeit, Zeit, die es auf der Insel im Überfluss gibt.
Das Hörspiel kann im eigentlichen Sinne nicht als solches bezeichnet werden, sondern als Situationsbeschreibung von Parallelexistenzen, die nur monologisch interagieren. Einzig und allein der Gefangene wagt den Ausbruch – und trifft auf Unverständnis und Indifferenz ob seines Mutes:
«Nein, sie verstehen nicht. Aber hören sie zu: Kurz nach Mitternacht war es soweit. Über ein Jahr habe ich an diesen einen Augenblick gedacht, von dem ich die Uhrzeit nie wissen werde, nie die Konstellation der Sterne am Himmel. Ich glaube, ich hatte ihn so gut vorbereitet, dass der Weg über die Felsen nach dem lautlosen Ausbruch vorher mir wie eine Wiederholung schien, ein Weg, den ich in Gedanken schon so oft gegangen war, dass ich ihn ohne Verwunderung – nicht zu rasch, nicht zu langsam – nahm. Der Teil des Augenblicks jedoch, in dem ich auf dem niedrigsten Felsen der Klippenwand angelangt war und die Arme hob und sprang, war neu. Er kann sich nicht wiederholen. Ich muss zwölf Stunden geschwommen sein, nackt und wehrlos. Ich neidete den andren die Zellen, die Geruhsamkeit in diesen Stunden. Dass ich die Wette nicht verlor und die Nacht überholte, rührt vielleicht daher, dass mein Verstand nie still stand, wenn mein Herz es tat, weil es sich berührt, betastet, umgarnt vom Wasser und Dingen im Wasser fühlte.»
Bachmanns Wortgewalt erschöpft sich nicht in pompösen Wortgewittern, sondern lodert wie eine kleine und doch unbändige Flamme. Sie streut prosaische Funken, hie und da ein poetisches Flackern – der Rest folgt ihrer Prämisse, dass Omission der Emission schon immer um Längen voraus war.
«Die Zikaden» kann als ruhiges und tiefenpsychologisches Hörspiel bezeichnet werden, unaufdringlich und scheu wie Bachmann selbst. Als das Hörspiel herauskam, war sie längst berühmt, als Frau, die dem intellektuellen Deutschland – organisiert in der prätentiösen Gruppe 47 – das literarische Fürchten lehrte. Sie wurde auf Händen getragen, von Max Frisch und Paul Celan umgarnt, und verkümmerte später doch isoliert und seelisch depriviert auf ihrer tabletten- und nikotinberauschten Gedankeninsel.
«Die Zikaden» von Ingeborg Bachmann ist das erste vorgestellte Werk aus der Offjournal-Reihe «Die wertlose Bibliothek» – zeitgleich publiziert bei www.offjournal.de.
- Der Reiz der Vergänglichkeit
- «Die wertlose Bibliothek» – Prolog von Elias Fauser
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