gesichtet #61: Das Geisterhaus von Riehen
Von Michel Schultheiss
Manch einer mag diesen Pfadfinder-Gassenhauer noch aus den Schulzeiten kennen: «Dieses Haus ist alt und hässlich, dieses Haus ist kahl und leer, denn seit mehr als 50 Jahren, da bewohnt es keiner mehr, dieses Haus ist halb zerfallen, und es knarrt und stöhnt und weint, dieses Haus ist noch viel schlimmer als es scheint».
Was im Lagerfeuer-Klassiker von Bruce Low beschrieben wird, gibt es tatsächlich: Das «alte Haus von Rocky Docky» lässt sich an einem Ort finden, an dem man es wohl am wenigsten vermuten würde. Die Bruchbude befindet sich nämlich mitten in einer gepflegten Riehener Einfamilienhaus-Siedlung.
Dornenranken und Büsche haben den Garten schon vollständig überwuchert. Mitten in diesem kleinen Dschungel ragt das zerfallene Holzhaus heraus. Wie ein Wrack schauen seine Resten aus einem Meer aus Brombeersträuchern hervor. Am Hungerbachweg in Riehen bietet sich somit ein Bild, wie es in einer Erzählung von Edgar Allan Poe oder einem Harry-Potter-Film Platz haben könnte. Manchen Anwohnern gibt das Hexenhaus mit dem Urwald schon seit Jahrzehnten Rätsel auf: Eine ehemalige Anwohnerin erinnert sich, dass sie das Haus schon immer unbewohnt vorfand, also schon seit mindestens dreissig Jahren. Andere Nachbarn, die damals noch Kinder waren, hat die Neugier gepackt: Sie widersetzten sich den Verboten und wagten sich mit Taschenlampen in das mysteriöse Geisterhaus. Von den Befragten weiss aber niemand genau, was es mit diesem verlassenen Landstück auf sich hat.
Ein Gang ins Archiv gibt Aufschluss: Das Haus wurde zwischen 1936 und 1938 erbaut. 1967 erbte eine Frau Bossart die eine Hälfte der Parzelle, die andere kam dem Diakonissenhaus zugute. Offensichtlich konnten weder die Erbin noch die evangelische Schwesterngemeinschaft etwas damit anfangen: Bereits zwei Jahre später verkauften sie es an einen Privaten. Schliesslich erbten im Jahr 2008 zwei Brüder die Parzelle. Einer der beiden konnte vom Schreibenden ausfindig gemacht werden. Er erklärt, weshalb das Chalet zu einem «Haus von Rocky Docky» wurde. Schon sein Vater habe Pläne für einen Neubau gehabt, die leider nie realisiert werden konnten. Somit sei es sicher seit Mitte der Siebzigerjahre unbewohnt und auch nicht mehr brauchbar. Der Zahn der Zeit nagt schon längst an diesem Holzbau: «Der Balkon gibt schon langsam nach und ist einsturzgefährdet», erklärt der Eigentümer.
Schon als er klein war, soll der Garten einem Urwald geglichen habe. Als Kind hat er öfters in diesem Dschungel inmitten von Einfamilienhäusern gespielt. Wie er sich erinnert, hatte sein Bruder als Jugendlicher eine ausgefallene Idee: Er organisierte darin eine Clochard-Party. Seine Freunde verkleideten sich als Obdachlose. Mit zerfetzten Kleidern und Whisky-Flaschen zogen Dutzende von ihnen in Richtung Bischoffhöhe, um im alten Holzhaus zu feiern. Eine alte Badewanne mit Füssen diente ihnen als Bar. Der Zug der Clochards sorgte in der Einfamilienhaussiedlung ganz schön für Verwirrung, womit der Lausbubenstreich ins Schwarze traf.
Dass dort aber richtige Clochards einziehen werden, ist unwahrscheinlich: Das Haus ist bereits derart zerfallen, dass es schon gar nicht mehr begehbar ist; zudem ist es verschlossen. Obschon es bisweilen von den Nachbarn beargwöhnt werde, fänden sich mittlerweile die meisten von ihnen mit dem wilden Niemandsland ab: «Heute lassen Nachbarn die Kinder in diesem Gärtchen spielen und finden es toll, auch wenn die Brombeersträucher manchmal über die Zäune wachsen», meint der Parzellenbesitzer. Vielleicht wird aber dem Spuk einmal ein Ende gesetzt: Die Eigentümer haben den Nachbarn schon Baupläne gezeigt. Das Haus von Rocky Docky wird also nicht ewig «aufs neue Morgenrot warten» müssen und eventuell einmal einem Neubau Platz machen.
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Haben als Kind/Jugendliche vor zig Jahren mehrfach das Haus erforscht, stets mit bei „Hobby Franz“ in Basel gekauften Airsoftwaffen bewaffnet – aus Angst vor eventuell im Haus wohnenden Schurken :-)
Wäre heute ja nicht mehr möglich, sowas.
Wenn man nicht über die Nachbarsgrundstücke gehen wollte, musste man sich vom Tor bei der Strasse bis zum Haupteingang zuerst in stundenlanger Arbeit einen Weg durch den Garten bahnen. Durch die Kellertür sind wir nie reingekommen, haben durch Probieren verschiedenster Schlüssel eines Tages jedoch einen passenden Schlüssel für die Vordertüre gefunden: der im Werkunterricht heimlich hergestellte Passpartout-Bartschlüssel fürs alte Hebelschulhaus passte perfekt ins Schloss der Haustüre :-)
Den besagten Schlüssel habe ich noch heute …
Im Haus war alles voller Marderscheisse, im Keller die Wände versprayt und überall lagen Heuballen herum.
Soweit ich noch weiss, gibt es im Keller drei Räume, im Erdgeschoss Küche, Bad, Esszimmer sowie zwei Nebenzimmer und im ersten Stock nochmals zwei Zimmer sowie Estrich- oder Stellplatzplatz. Auf den maroden Balkon oder was davon übrig war haben wir uns damals schon nicht getraut…
Lieber Ben, vielen Dank für diese spannenden Anekdoten aus der Jugend! Das Geisterhaus muss also die kindliche Abenteuerlust der Anwohner geweckt haben. Liebe Grüsse. smi