gesichtet #116: Der Mann, der dich schachmatt setzt

Von Michel Schultheiss

Wenn er sich nähert, müssen sich Infostandbetreiber und aufdringliche Missionare warm anziehen. Seine selbst beschrifteten T-Shirts, die er auch im tiefsten Winter trägt, sorgen mit sehr pointierten Äusserungen zum Thema Religion immer wieder für Aufsehen. Selbst zur kalten Jahreszeit trägt er sie manchmal in Kombination mit kurzen Hosen und Wanderschuhen. Dabei sind es aber nicht nur die markanten Schriftzüge auf der T-Shirt-Rückseite, die für seine klare Haltung stehen. Auch die heftigen Diskussionen, welche er manchmal mit diesen Leuten führt, unterstreichen seine Botschaft.

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Der stets belebte Claraplatz einer der Lieblingsorte von André. Hier trifft man ihn öfters – wie immer mit den mittlerweile stadtbekannten T-Shirts (Foto: smi).

Wer aber ist eigentlich der stadtbekannte Mann, der vom samstäglichen Geschehen in der Innenstadt nicht mehr wegzudenken ist? Gewiss sind die ausgefallenen T-Shirts längst zu seinem Erkennungszeichen geworden. Ihn aber nur darauf zu reduzieren, würde seiner Person nicht gerecht werden. Zwar war an dieser Stelle vor einiger schon einmal die Rede von ihm, doch mittlerweile kennt ihn der Schreibende besser als damals. Der überaus aufgeschlossene Mann namens André hat auch andere Facetten: Wie die andere – deutlich weniger heftige – Seite der Shirts jeweils besagt, ist er ein leidenschaftlicher Schachspieler. Er ist auch bei einem lokalen Club aktiv. «Man muss dabei viel denken – Gefühl und Rationalismus müssen verbunden sein», sagt er über sein liebstes Gesellschaftsspiel.

Nebst Schach und Religion interessieren ihn aber auch andere Themengebiete. Gerne liest er Bücher über Technik und Medizin. Zudem hat er ein Faible für urchige lokale Bräuche wie die Pfingstblüttler in Ettingen. André ist auch ein passionierter Rheinschwimmer – auch dann, wenn sich andere schon nicht mehr ins Wasser wagen. Auch hier geht nichts ohne seine bedruckten Kleidungsstücke: Während der Herbstmesse sei er schon mal mit einem T-Shirt mit der Aufschrift «Ich bin Rheinschwimmer» in den Fluss gesprungen.

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Der leidenschaftlicher Schachspieler sucht gerne nach Leute für eine Partie (Foto: smi).

Die meisten haben ihn wohl schon am Samstag mitten im Einkaufsgetümmel angetroffen. Woche für Woche kommt er vom Baselbiet in die Stadt, um sich unter die Leute zu mischen. Stets ist er mit dem Velo unterwegs. Dabei ist der Claraplatz sein Lieblingsort – nicht nur wegen der vielen Religions- und Sektenständen, die dort gerne ihre Zelte aufschlagen. Ganz generell hat es ihm der belebte Platz mit mit all seinen Figuren, vom geheimnisvollen Porträtmaler bis hin zum lautstark zechenden Clochard, sehr angetan. «Hier läuft etwas», findet André. Ein zweiter favorisierter Ort ist das Café «Zum roten Engel» am Andreasplatz, wo er Mitspieler für Schachpartien trifft.

Wie gesagt sind die selbstbedruckten T-Shirts sein Aushängeschild – und zwar schon lange: «Vor mehr als zwanzig Jahren habe ich damit angefangen». Früher hätten ihn manche Leute beschimpft hat, wenn er mit dem Velo vorbeigefahren kam. Dabei sind seine Absichten viel harmloser, als manche denken: «Ich möchte so mit den Leuten in Kontakt treten», erklärt er. «Ich fühle mich aber gar nicht so bekannt – genauso gut könnte ich Novartis auf mein T-Shirt schreiben».

Seine Abneigung gegenüber der Religion hat biographische Hintergründe: «Früher war ich ein Evangelikaler». Bei einem bekannten christlichen Verlag hat er Waren eingepackt. Wie er sagt, seien es die Religionen selbst gewesen, die ihn genötigt hätten, Atheist zu werden. Nun diskutiert André gerne mit seinen ehemaligen Mitstreitern auf der Strasse: «Ich setze sie mit der Bibellektüre schachmatt». Mit Repräsentanten anderer Religionen geht er aber ebenso hart ins Gericht: Auch mit islamischen Vertretern hat er schon heftig debattiert und mit Scientology hat er sich ebenso angelegt: «Ich habe ihnen einen Brief geschrieben, dass sie Gauner seien», erzählt er.

Seine Wortwahl ist – wie auch seine T-Shirt-Performance– stets direkt und unverblümt. Auch wenn atheistische Sprüche längst zum Mainstream gehören, vermag diese ungewöhnliche Art noch immer einen manchen zu irritieren. Nun aber zu meinen, hier sei verbitterter Mensch am Werk, ist völlig verfehlt: Sobald man aber ein anderes Thema als Religion anschlägt, kommt aber ein überaus freundlicher Mann zum Vorschein. Schach und Rheinschwimmen sind da zwei seiner Lieblingsthemen, sein Draht zur Stadt. Eigentlich spricht er auch viel lieber darüber.

 

Dieser Text lehnt sich an einen Beitrag des gleichen Autoren in der BZ vom 29.12.2014 an, wobei im Zeitnah-Beitrag die Person André stärker in den Fokus gerückt wird. Im Zeitungsartikel wird hingegen der nicht ganz unproblematische Begriff des «Stadtoriginals» diskutiert. Weitere Persönlichkeiten, die auf ihre Art die Stadt Basel und ihre Öffentlichkeit mitprägen, doch in den Medien kaum je dafür mit einem Beitrag geehrt werden, wurden zudem im Laufe der letzten knapp drei Jahre immer wieder bei Zeitnah vorgestellt – so zum Beispiel der König von Portugal, der Äpfel- und Mandarinenverkäufer, die lächelnde Frau, der Kofferkulibewohner, der Christus-lebt-Etikettenkleber, der «Legionär» und der «Geheimagent».

Einige Gedanken zu “gesichtet #116: Der Mann, der dich schachmatt setzt

  1. Funky

    Was ein schöner Beitrag!
    Bin durch Zufall hier gelandet und wohne schon länger nicht mehr in Basel, aber in den 5 Jahren die ich dort gewohnt habe, ist er mir mehr als einmal über den Weg gelaufen und ich musste doch jedesmal bei seinen T-Shirts schmunzeln


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