gesichtet #152: Was aus der «Villa Carmen» geworden ist
Von Michel Schultheiss
So manche Ausgaben der Rubrik «gesichtet» benötigen dringend ein Update. Die Stadtentwicklung überholt nun mal auch mal ein Magazin mit dem Namen «Zeitnah». Das geschieht nicht nur bei den grossen planerischen Kisten wie Erlenmatt, Klybeck, Dreispitz und Volta, sondern auch bei kleineren Brötchen. So etwa an der Vogesenstrasse, wo die von den einen gelobte, von anderen bekämpfte Aufwertung im kleinen Rahmen ihre Früchte trägt.
Vor zwei Jahren war hier etwa vom Abbruch der «Villa Carmen» die Rede. Man schaue sich also im Zeitnah-Archiv die Bilder an und vergleiche. Die einstige «Zahnlücke» in der Häuserzeile, um das Bild des beteiligten Architekten zu verwenden, ist verschwunden. Nach dem Abriss der Scheune mit den Ateliers und dem WG-Altbau ist der Ort kaum mehr zu wiederzuerkennen.
Ein Toi-Toi-WC, ein Handwerkerauto in der Einfahrt, Mauern im Innenhof: Es sieht noch wie ein Provisorium aus und Stille herrscht. Wie man aber der Website der Immobilienfirma entnehmen kann, sind 32 Eigentumswohnungen des «Johannshof» sind inzwischen alle verkauft oder reserviert. Ein fünfgeschossiger Frontbau und im von der Strasse her kaum sichtbaren grossen Innenhof hat ein ganzes Gebäude Platz.
Wie immer gibt’s hier zwei Seiten der Medaillen. Da gibt’s etwa den Punkt, den etwa Thomas Haemmerli in seinem aktuellen Film «Die Gentrifizierung bin ich» als durchaus positiven Punkt der Stadtentwicklung hervorhebt: Verdichtung im Quartier, wie auch hier an der Vogesenstrasse, schafft Wohnraum für viel mehr Leute als vorher. Von diesen ist aber zumindest jetzt noch nicht viel zu spüren, denn Eigentumswohnungen in Neubauten haben erstens ihren Preis, ziehen also ein bestimmtes Bewohnersegment an. Zudem ist mit dem Neubau auch eine Nische, ein Bruch in der Gleichmässigkeit, einem eher sterilen und anonymen Ambiente gewichen. Daher bleibt es abzuwarten, wie sich die Neuerung in das Santihans-Quartier integrieren wird.
Auch sonst steckt dieser Ort in einem neuen Gewand: Wo bis vor Kurzem noch ein improvisierter Trödelladen stand, ist jetzt eine Spielgruppe untergebracht. Die andere Seite des Johannshof wird von einer Galerie flankiert. Nicht nur das hat das Strassenbild hier verändert. Als erstes sticht einmal das hohe Biozentrum ins Auge. Wo bis vor zwei Jahren noch von den Gebäuden der Strasse aus noch das Münster zu sehen war, beherrscht nun dieses Hochhaus die Szenerie als wuchtiger Block hinter der auffällig breiten Quartierstrasse.
Warum diese Achse durchs Santihans so beschaffen ist, hat übrigens auch seine Geschichte. Mitte 19. Jahrhunderts ratterte hier nämlich die Elsässerbahn durch. Einst führte die Linie zum Bahnhof am Schällenmätteli von 1945 hier durch. Das war nicht lange so. Bereits nach 15 Jahren wurde die Elsässerbahn zum Centralbahnhof am Elisabethen-Bollwerk verlegt.
Anwohner nutzten die stillgelegte Bahnlinie als Fussweg. 1872 wurde der Pfad durchs offiziell zur Vogesenstrasse. Das war nicht schon immer so gedacht: Wegen der einstigen Elsässerbahnverbindung hätte sie zur Pariserstrasse werden sollen. Zu dieser Ehre kam die Strasse dann aber doch nicht: Wie so manches im Iselin und Santihans verewigt sie aber etwas von elsässischen Nachbarn.
Auch anderthalb Jahrhunderte später hatte die einzige Bahnlinie noch einen Nachhall. So reichten Christian Egeler und Konsorten 2008 im Grossen Rat einen Anzug ein, in welchem sie die Idee aufbrachten, die Tramlinie 11 statt über die Elsässerstrasse auf dem einstigen Trassee der Bahn zum Bahnhof St. Johann zu führen. Dazu kam es bekanntlich nicht – und somit fährt weder ein Zug noch ein Drämmli durch die Vogesenstrasse.
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Das mit der Verlegung des Trams 11 parallel zur heutigen Lösung wäre eine schrottige Idee gewesen, zumal der St. Louis Grenze Punkt nunmal bedient werden muss. Hat dies Egeler damals angeregt, weil er zufällig ein Haus besitzt in der St. Johanns-Vorstadt? öhöm…