Das Blut des Gottes – Ari Asters «Midsommar»
Mit seinem zweiten Spielfilm legt Ari Aster einen «Wicker Man» für das neue Jahrhundert vor. Ein sehr guter, erschreckender Film, der zum Denken anregt.
Zwischen Dani (die oscarnominierte Florence Pugh) und Christian (Jack Reynor) kriselt es. Doch die jungen Leute wollen nicht gleich aufgeben und entscheiden sich, nach Schweden zu gehen, wo Christian über archaische Mitsommerrituale forschen will.
Auch mit von der Partie sind diverse Studienkollegen – allerdings ist Dani die einzige Frau unter den US-Amerikanern. Angekommen in der schwedischen Provinz wird bald klar, dass das Mitsommerfest dort etwas anders gefeiert wird…
Ari Aster hat bereits mit seinem Erstling «Hereditary» gezeigt, dass er ein Meister des Horrorfilms ist. Und anders als die zahlreichen Horrorstreifen nach Schema F bietet Aster immer auch viel Material für unsere grauen Zellen – erschreckend sind auch seine Filme sehr, aber sie regen immer auch zum Denken an.
Es ist schwierig, hier den Film zu interpretieren und nicht mehr zu verraten. Er ist aber sicherlich in der Tradition des genialen britischen Horrorfilms «The Wicker Man» (1973, Buch: Anthony Shaffer) zu sehen. In Robin Hardys Horrorklassiker kommt ein naiver Polizeibeamter in eine abgelegene Gegend, auch dort werden sonderbare Rituale praktiziert. Dieser Sergeant Howie ist (wie auch Nicolas Cage im missglückten US-amerikanischen Remake aus dem Jahre 2006) ein Vertreter der Staatsgewalt; in Asters Film sind die jungen Menschen aus den USA normale Studierende.
Es ist (wie auch im «The Wicker Man») eine grausame Welt, in welche die Menschen zurückgeworfen werden; theologisch und historisch zwar sicherlich nicht an sich korrekt; auch wenn natürlich gewisse kulturelle Elemente (die wir heute als unethisch sehen) in vorchristlichen Gemeinschaften wohl ganz anders gesehen wurden: schliesslich waren bei den Puniern, Azteken, Kelten und selten auch bei den Germanen Menschenopfer nicht eben unbekannt.
Dies zeigt sicherlich, wie sehr sich der Blick auf den Wert des menschlichen Lebens gewandelt hat – daran müssen wir gerade in diesen schwierigen Corona-Zeiten denken.
Dabei ist es sicherlich kein Zufall, dass Christian einen sprechenden Namen hat: er steht für den modernen, letztlich eben doch auch christlich geprägten Menschen, der die heidnische Welt sezieren will. Wobei er nicht der einzige ist: auch sein Kollege Josh (William Jackson Harper), ein Afroamerikaner, will seine Doktorarbeit eben über die Rituale dieser Menschen schreiben. Josh ist übrigens etymologisch gesehen derselbe Name wie Jesus.
Dani ist dabei seltsam unbeteiligt – schliesslich und bezeichnenderweise war es auch nicht ihre Idee, nach Schweden zu gehen. Eher ist es eine Goodwill-Aktion von ihrer Seite… schliesslich will sie ihre Beziehung retten (warum eigentlich?). Mehr sei hier aber nun wirklich nicht verraten…
«Midsommar». USA/Schweden/Ungarn 2019. Regie: Ari Aster. Mit Florence Pugh, Jack Reynor, William Jackson Harper, Vilhelm Blomgren, Will Poulter, Ellora Torchia, Archie Madekwe u.a., DVD und Blu-ray Disc erschienen bei Ascot Elite. D/E, deutsche Untertitel.
- An extraterrestrial view on Corona and how extraordinary Humans are
- Jubiläums-Essay zu Nietzsche von Dominik Riedo