Kampf gegen das Vergessen – Florian Zellers «The Father» und Filippo Meneghettis «Deux»

Florian Zeller zeigt, wie sich ein dementer Mensch fühlt. Filippo Meneghetti zeigt, wie sich ein ausgebliebenes Coming-out auswirken kann. Zumindest dann, wenn die Partnerin ihre Sprachfähigkeit verliert.

Der Vater Anthony (Anthony Hopkins) ist alt, und unterdessen auch dement. Seine Tochter Anne (Olivia Colman) unternimmt viel, um sein Leben zu erleichtern. Da Anthony aber nichts von seiner Krankheit weiss, kann sie ihm nur teilweise helfen. Vor allem aber macht Vater Anthony ihr Leben zur Hölle…

Madeleine (Martine Chevalier) , genannt Mado, und ihre Freundin Nina (Barbara Sukowa) sind ein Paar. Nach einem Schlaganfall ist Mado aber stark eingeschränkt. Ihre Familie engagiert zuerst eine Pflegerin, verlegt sie dann aber in ein Heim. Nina, die frühere Nachbarin, Freundin und Partnerin, ist verzweifelt…

Florian Zeller legt mit der Verfilmung seines eigenen Theaterstücks einen spannenden Film vor, in dem Anthony Hopkins wie gewohnt brillieren kann. Der renitente Senior mit Charme und Demenz ist ihm wie auf den Leib geschrieben. Dabei ist ihm selber durchaus klar, dass er stark eingeschränkt ist – zumindest ab und zu. Vielleicht ist er besonders gut im Verdrängen (oder er vergisst einfach immer wieder alles), doch auch seine Flucht vor der Realität kann nicht ewig dauern.

Olivia Colman als Anne in «The Father». Auch in «Deux» heisst die Tochter Anne… (Bild: zVg)

Auch in «Deux», einer französisch-luxemburgisch-belgischen Produktion, muss Madeleine nach einiger Zeit in ein Pflegeheim, wie Anthony. Obwohl sie nicht mehr sprechen kann, erinnert sie sich noch an vieles – nicht zuletzt an ihre deutsche Freundin Nina. Eigentlich hatten sie noch grosse Pläne. Doch das Coming-out war für die Seniorin zu viel – vielleicht dachte sie auch: Es wäre zu viel für meine Familie.

In «The Father» fokussiert der französische Regisseur und Autor Florian Zeller auf die Perspektive des Vaters; bei Filippo Meneghetti, dem Regisseur von «Deux», steht eher die jüngere (aber ebenfalls pensionierte) Freundin Nina im Zentrum. Wir leiden mit ihr mit – sie ist zwar immer noch die Nachbarin von Madeleine, aber ihre Versuche, den Kontakt zu Madeleine zu intensivieren, müssen am Unverständnis vor allem von Madeleines Tochter Anne scheitern – in Annes Vorstellung war ihre Mutter ihrem verstorbenen Ehemann treu ergeben, sogar über den Tod hinaus.

In «The Father» ist es Anthony, der aufgrund seiner Krankheit vieles, vielleicht fast alles falsch einschätzt. In «Deux» sind es die Gesunden, die falsch verstehen, vielleicht gar nicht anders verstehen können, denn wie Anthony haben sie ja auch nur einen Bruchteil der Informationen zur Verfügung. Sowohl «The Father» als auch «Deux» sind konventionell, aber kunstvoll gemacht, «Deux» vielleicht etwas schlichter in seinem Duktus, aber deshalb nicht weniger gelungen. Beide Filme können helfen, falsche Gewissheiten zu hinterfragen – ein Blick auf das eigene Leben zeigt wohl: So weit weg von Anthony, aber auch Nina und Anne, sind wir oft nicht. Und wie Anthonys Tochter Anne – kongenial dargestellt von Olivia Colman – kommen wir oft an unsere Grenzen, obwohl wir versuchen, alles richtig zu machen, unseren Mitmenschen zu helfen…

«The Father». UK/Frankreich 2020. Regie: Florian Zeller. Mit Anthony Hopkins, Olivia Colman, Ayesha Dharker, Olivia Williams, Mark Gatiss, Rufus Sewell u. a.

«Deux». Frankreich/Luxemburg/Belgien 2019. Regie: Filippo Meneghetti. Mit Barbara Sukowa, Martine Chevalier, Muriel Bénazéraf, Léa Drucker u. a. Deutschschweizer Kinostart am 19. August 2021.


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