Schwarz in der Schweiz, schwarz im Metal
Olivier Joliat und Matthias Willi erzählen die verblüffende Geschichte von Manuel Gagneux und seiner Band Zeal & Ardor. Ausserdem erzählen Juliana Fanjul und Rachel M’Bon aus ihrem Leben im weissen Alpenland Schweiz.
Manuel Gagneux, Basler Musiker, war auf der Suche nach Inspiration. Welche Stile sollte der metalbegeisterte Basler mischen? Auf 4chan schrieb ein Rassist: Black Metal und «nigger music». Gagneux war anfangs sicher nicht amüsiert davon (pikiert war er laut eigener Aussage), sicherlich nicht nur, weil seine Mutter selber Afroamerikanerin ist. Doch musikalisch fand er das trotzdem eine interessante Idee. Er bastelte sein erstes Album als Zeal & Ardor ganz alleine, es wurde ein grosser Erfolg – nun musste Gagneux eine Band zusammenstellen. Auch dies mit Erfolg … doch der Rummel wurde zu viel für den eigentlich mild gestimmten Gagneux. Konnte, wollte er weitermachen mit seiner band und seinem Projekt?
Olivier Joliat und Matthias Willi, beide selber musikaffin, Joliat etwa ist selber ist Mitglied der Lombego Surfers und war mit Navel auf Tour, finden einen persönlichen Zugang zu Gagneux; der Film ist so viel intimer als vergleichbare Werke. Zwar ist die Familie des Musikers etwa nicht zu sehen (beide Elternteile sind ebenfalls Musiker), aber man sieht etwa Gespräche mit ihm und seinem Management oder einem Freund der Mutter in New York.
Was vielleicht etwas zu kurz kommt: Ist nicht auch Black Metal letztlich afroamerikanische Musik, basiert nicht auch er – wie alle Stile des Rock & Roll – eigentlich auf dem Blues? Sicherlich, die afroamerikanischen Wurzeln sind im Black Metal nicht mehr sofort erkennbar, und doch ist es ja ein Mythos des teilweise rechtsextremen Black Metal – der Mythos der Rassenreinheit. Ohne die Versklavung der Afrikaner würde es den Black Metal ebenso wenig geben wie Hip Hop oder R & B.
Doch dies ist sicherlich nicht das Thema des Films. Nur am Rande erwähnt der Freund der Mutter die Black Rock Coalition, mit der Living Colour und andere schwarze Bands auf ihr Recht, auch als Afroamerikaner Rock zu spielen, gepocht haben. Vielleicht ist dies eben doch Manuel Gagneuxs Projekt: Afrika, die afroamerikanische Erfahrung zurück in den Rock bringen, genau wie bei Living Colour, Body Count oder 24-7 Spyz. Vielleicht auch einfach, schwarze Menschen im Rock wieder sichtbar zu machen.
Ein spannender Dokumentarfilm, nicht zu lang, nicht zu kurz (er könnte aber auch länger sein), ein toller Einblick in die Welt von Manuel Gagneux, wie aus einem Ein-Mann-Projekt eine Band wird und wie gerade Black Lives Matter Gagneux den Wunsch gibt, das Projekt weiterzuführen mit einer stärkeren thematischen Verwurzelung in der Realität – anfangs war der Ausgangspunkt (was wäre passiert, wenn die Sklaven sich Satan statt Jesus zugewendet hätten?) ja doch eher noch spielerischer Natur.
Ein Film, der einen persönlichen Einblick in die welt von Manuel Gagneux gibt – und zugleich viele Fragen aufwirft: Gehört die schwarze Kultur wirklich zu Gagneux? Schliesslich musste er sich die afroamerikanische Musik neu aneignen, nicht den Metal. Cultural Appropriation lässt sich so mit Manuel Gagneux auch ganz neu denken. Was sich wohl der Rassist unter schwarzer Musik vorstellt? Wobei er natürlich ein anderes Wort verwendet … ob er zufrieden ist mit Gagneuxs Musik? Davon ist sicher nicht auszugehen, schliesslich ist gagneux sicher Antitrassist, auch wenn nicht Aktivist, sondern in erster Linie einfach ein sehr talentierter Musiker, von dem noch vieles zu erwarten ist.
Auch im Dokumentarfilm «Je suis noires» kommt es zu einem Perspektivenwechsel … hier geht es um den wirklichen Alltag von schwarzen Frauen in der Schweiz; Regie geführt haben zwei schwarze Frauen, eine von ihnen ist auch Protagonistin. Im Dokumentarfilm von Rachel M’Bon und Juliana Fanjul reden schwarze Frauen über ihre Erfahrungen in der Schweiz; über die Kinder, die entzückt sind, zum ersten Mal einen «Neger» zu sehen (sic!); über ihre Bemühungen, ihre afrikanischen Wurzeln zu verstecken oder zumindest weniger auffällig zu sein in der weissen Gesellschaft, indem sie eine Perücke tragen oder ihr Haar glätten und verlängern.
Auch hier kommt George Floyd zur Sprache; der Historiker Patrick Minder erklärt, dass die Schweiz zwar nie Kolonien hatte, dass der Blick auf schwarze Menschen deshalb aber nicht weniger kolonial ist; und wie Sexismus und Rassismus dazu führen, dass schwarze Frauen in der Hierarchie zuunterst sind.
Der Dokumentarfilm über Zeal & Ardor heisst «Play with the Devil – Becoming Zeal & Ardor». Der Film von Juliana Fanjul und Rachel M’Bon heisst «Je suis noires», der englische Titel lautet aber «Becoming a Black Woman». Und tatsächlich erzählt Rachel M’Bon, wie sie früher geglättete Haare hatte, einen weissen Mann, dies aber alles hinter sich gelassen hat.
Manuel Gagneux hingegen hat seine Haarpracht nie dem eher weiss geprägten Metal angepasst – der Druck auf Frauen, sich anzupassen, ist da sicher grösser; das beweist auch die SP-Politikerin Yvonne Apiyo Brändle-Amolo, die anfangs auch nicht den Mut hatte, zu ihren natürlichen Haaren zu stehen. Und wer weiss, wie krass sie angefeindet wurde etwa anlässlich ihrer 1.-August-Rede in Oberengstringen (ZH), wird sich darüber nicht wundern. Notabene wurde sie nicht erst nach der Rede beleidigt, sondern schon vorher …
Vielleicht stimmt es ja, und Polizeigewalt gegen schwarze Menschen ist in der Schweiz kein Problem. Die Opfer sehen dies allerdings sicher anders – aber so oder so ist es einfach, alle Probleme nur in den USA zu verorten. Schwarzsein in der Schweiz; das ist sicher kein Problem – wenn man weiss ist. Die Vorstellung, der Rassismus sei nur ein Problem der anderen, ist zudem auch in vielen anderen europäischen Ländern verbreitet. Die USA werden aus europäischer Sicht oft als das «ganz andere» konstruiert; aber sind die USA ohne Europa überhaupt vorstellbar – oder Europa ohne die USA?
Zurück aber zu «Je suis noires». Es handelt sich um einen kurzen Film, ergänzt mit dem schönen Vorfilm «Ethereality», ein Dokument, wie wir es nur selten sehen in der Schweiz, in der selbst die bekanntesten Rapper – Stress und Bligg – zum Image der blütenweissen Schweiz nur allzugut passen. Ein kurzer Film, aber nicht weniger eindrücklich. Ein Dokument, das zum Denken anregt – hier reden für einmal nicht die Weissen für die Schwarzen, sondern die Schwarzen selber. Über Erfahrungen, die nicht einfach sind in einer Gesellschaft, die ihre Erfahrungen grösstenteils nicht kennt und auch nicht kennen will (siehe dazu den Artikel in der Republik: https://www.republik.ch/2021/03/19/aber-wehe-sie-machen-den-mund-auf).
«Play with the Devil – Becoming Zeal & Ardor». Schweiz 2023. Regie: Olivier Joliat/Matthias Willi. Dokumentarfilm. Deutschschweizer Kinostart am 16. März 2023.
«Je suis noires». Schweiz 2023. Regie: Juliana Fanjul/Rachel M’Bon. Dokumentarfilm. Deutschschweizer Kinostart am 9. März 2023.
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