Le Corbusier in Chandigarh

Le Corbusier ist der kreative Kopf hinter der indischen Planstadt Chandigarh. Karin Bucher und Thomas Karrer porträtieren sie in ihrem neuen Dokumentarfilm.

Sein Name ist in der Schweiz zwar nicht unbekannt. Cinephile Geister werden sich auch an den Dokumentarfilm von Alain Tanner erinnern: «Une ville à Chandigarh». Nun haben zwei andere Schweizer Filmemacher:innen sich entschieden, Chandigarh, «the city beautiful» zu porträtieren. Wie der Titel schon sagt, steht hier die Stadt Chandigarh im Zentrum: wie die Menschen dort leben – und nicht zuletzt natürlich die eindrücklichen architektonischen Entwürfe von Corbusier, die hier umgesetzt wurden. Chandigarh ist die indische Stadt mit der Bevölkerung mit dem höchsten durchschnittlichen Einkommen; gleichzeitig darf hier baulich nichts verändert werden.

Eine Verdichtung ist unmöglich – andere Städte und auch Slums wachsen, denn der Wohlstand zieht die Armen an. Wie kann es auch anders sein …

Eindrückliche Bilder aus Chandigarh. (Bild: zVg)

Natürlich ist die von Le Corbusier geplante Stadt ein grosser Erfolg. Vor 70 Jahren hat Le Corbusier sein bekanntestes Werk vollendet, zusammen mit vielen Helfern, seinem Cousin Pierre Jeanneret, aber auch zahlreichen Fachleuten aus Indien. Thomas Karrer und Karin Bucher waren zuletzt im Kino zu sehen mit ihrem Dokumentarfilm «Zwischenwelten» – was die Filmemacherinnen anzieht, ist das Ausserordentliche, auch das Abseitige – ob in Heilkunst oder Architektur – Entwürfe, die weit weg sind vom Herkömmlichen, Etablierten.

Zwar steht wie gesagt das heutige Chandigarh im Zentrum; der Dokumentarfilm bietet aber auch einige Zitate vom Meister selbst. Mit Voiceover, Interviews mit zahlreichen Einheimischen – etwa dem stadtbekannten Schauspieler und Stadtaktivisten G. S. Channi (1951–2021) oder der Architektin Deepika Gandhi – und diesen Zitaten bieten Karrer und Bucher so ein ausgewogenes Bild einer Stadt, die wie keine andere ist und eine der wenigen Planstädte des letzten Jahrhunderts ist. «Leben mit Le Corbusier» heisst Leben in einer Stadt, die sicher näher bei den Bedürfnissen der Menschen ist als etwa Brasília.

Le Corbusier, der politisch mit dem Faschismus sympathisierte und dem der Antisemitismus nicht fremd war, hat sein grösstes Werk ausgerechnet im seit dem 15. August 1947 unabhängigen Indien vollbracht. Aber Jawaharlal Nehru und andere Verantwortliche wussten wohl, dass es hier um mehr geht. Niemeyer war zwar anders als Le Corbusier links, aber seine Stadt Brasília ist sicher nicht menschenfreundlicher als Chandigarh. Und ob sich Niemeyer für Indien interessierte, ist auch zu bezweifeln …

An einer Stelle im Film sagt einer der Protagonisten, dass Le Corbusier kaum Parkplätze und Bäume eingeplant hat. Und doch ist der Platz, die Grosszügigkeit überall vorhanden in Chandigarh; und die Stadt hat so viele Pärke, dass die Bäume eben doch immer ganz in der Nähe sind – auch wenn es wohl Orte gibt, an denen es dann doch nur wenig Grün gibt. Der Kontrast zu Brasília könnte nicht grösser sein.

Auch «Zwischenwelten» war ein Werk, das ideologisch nicht unbedingt über jeden Zweifel erhaben war – auch hier kommt Le Corbusiers politische Verortung gar nicht oder kaum vor. Aber zugegeben: es ist ja auch nicht in erster Linie ein Film über Le Corbusier (ein Pseudonym – bürgerlich hiess er Jeanneret, wie sein Cousin), sondern über das heutige Chandigarh. Wie dem auch sei: ein absolut sehenswerter Dokumentarfilm – und wenn wir schon Chandigarh vielleicht nicht gleich selber besuchen: Das Kino ist sicher die richtige Plattform für das Opus magnum des französisch-schweizerischen Meisters Le Corbusier.

«Kraft der Utopie – Leben mit Le Corbusier in Chandigarh». Schweiz 2022. Regie: Karin Bucher, Thomas Karrer. Dokumentarfilm. Deutschschweizer Kinostart am 24. August 2023.


%d Bloggern gefällt das: