gesichtet #17: Der Anti-Jesus

Von Michel Schultheiss

Er trägt die wohl auffälligsten eigenhändig beschrifteten T-Shirts Basels. Nur diejenigen des Baslers Flip aus Charles Lewinskys Sitcom «Fascht e Familie» waren noch berühmter. Wie das Lächeln der Grinsefrau und die Akkordeonistin auf dem Barfi prägen auch seine provokativen T-Shirt-Aufschriften längst das Stadtbild. Die kurzärmligen Kleidungsstücke, die er auch im Winter trägt und dann halt einfach über den Pullover zieht, wechseln bisweilen die Slogans, widmen sich aber stets zwei Themengebieten: dem Schachspiel und der Religion. Bei Letzterem schreibt er jeweils sehr schnörkellos und unverblümt. Gerne benutzt er dabei Begriffe wie «Lügner», «Dummkopf», «Völkermord» oder gar «Hitlergruss», um seine Meinung zu Jesus von Nazareund dessen Botschaft zu bekunden.

Auch bei einer Erfrischung im Rhein mag sich der Strassen-Feuerbach nicht vom T-Shirt und dessen Botschaft trennen.

Auch bei einer Erfrischung im Rhein mag sich der Strassen-Feuerbach nicht vom T-Shirt und dessen Botschaft trennen (Foto: smi).

Der Ludwig Feuerbach der Strassen ist allgegenwärtig: Mal sieht man ihn in einer heftigen Debatte mit jungen Christen, mal unterhält er sich mit Falun Gong-Aktivisten. Oder er gönnt sich eine sommerliche Erfrischung im Rhein, wobei er sich auch im Wasser nicht vom T-Shirt und dessen Botschaft trennen mag. Am liebsten dreht er am Samstag beim Claraplatz seine Runden. Dort sind nämlich bisweilen alle möglichen Religionsvertreter auf wenigen Quadratmetern konzentriert. Salafisten, Ahmadiyya, Zeugen Jehovas und Scientology  – alle schlagen sie auf dem Platz ihre Zelte und auf. Diese geballte Ladung an missionarischem Eifer wird vom T-Shirt-Träger schon fast als Einladung verstanden, sich auf seine Mission zu begeben. Dabei schiesst er aber nicht nur auf das Christentum, auch andere Religionen werden nicht verschont; selbst wenn ihnen nicht die Ehre zukommt, auf seinen T-Shirts erwähnt zu werden.

Der bärtige Kirchen-Kritiker ist aber ein freundlicher Zeitgenosse, sofern er nicht in Religionsgespräche verwickelt wird. Der Mann, welcher sich übrigens sehr freute, als er erfuhr, dass über ihn geschrieben wird, erzählte daher dem Schreibenden einmal folgende Anekdote: Er sei schon einmal am Infostand des umstrittenen Islamischen Zentralrats Schweiz auf dem Claraplatz angefragt worden, ob er für den Verein Werbung machen könne. Anscheinend hatten die Infostand-Missionare in ihm einen potentiellen Anhänger der dritten abrahamitischen Religion gesehen. Dieses Angebot habe er aber – garniert mit verbalen Attacken gegen beide monotheistischen Buchreligionen – abgelehnt. Vereinnahmungsversuche des Einzelkämpfers sind also gescheitert. Vermutlich gehört er auch nicht zur Freidenkervereinigung oder zu den Anhängern des Schenkelklopfer-Atheismus des Fliegenden Spaghettimonsters. Der Mann ist auf eigene Faust unterwegs. Und immer wieder sorgen seine T-Shirts für Erstaunen, Bewunderung oder auch für ein Schmunzeln oder Entsetzen.

Einige Gedanken zu “gesichtet #17: Der Anti-Jesus

  1. raphi

    Schach spielen mit ihm ist angenehmer, als über Religion zu diskutieren… Wer dies tun möchte, begibt sich am Besten in den Roten Engel am Andreasplatz.


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