Kommentatort 46: „Nachtkrapp ist der Übertöter“
Der neue Konstanzer Tatort “Nachtkrapp” ist der beste hiesige Tatort seit Kommentatort-Gedenken. Sich selbst neu erfinden muss er dazu nicht, die Unterstützung eines neuen Schweizer Kommissars kommt aber wie gerufen.
Was hat der Kommentatort nicht schon alles über dem Konstanzer Tatort ausgeschüttet! Arme Frau Blum (Eva Mattes), armes Bäckle (Justine Hauer), armer Herr Perlmamnn (Sebastian Bezzel). Der Konstanzer Tatort ist langweilig, und zwar dermassen, dass man bald fasziniert auf die Grossaufnahme eines in seinem Hamsterrad dauerlaufenden Hamsters schaut. Hier sagte der Bewegungseifer eines Nagers mehr über den gesuchten Mörder aus als der für diese Rolle chargierte Schauspieler. Der Konstanzer Tatort schafft es regelmässig, den Täter gleich bei der ersten Einstellung unfreiwillig heraus zu trompeten, was dann auf Kosten der zu 5400 Sekunden Selbstparodie mutierenden “whodunnit”-Handlung geht. Der Konstanzer Tatort ist ein Tatort der Reihungen: So kann es vorkommen, dass Frau Blum eine Episode lang immer wieder aufs Schwabenmeer rudert, um zu fischen – nur, um sich jedes Mal von ihrem Assistenten Perlmann anquatschen zu lassen, ob sie einen Bewilligungsschein habe oder nicht. Frau Blum, das muss man wissen, will nicht fischen, sie will immer nur das eine, den Mörder kennenlernen. Sosehr will sie es, dass ihre Ermittlungen für die mehr oder weniger geneigten Zuschauer oft nur am Rande nachvollziehbar sind. Der Konstanzer Tatort ist ein Tatort der Klischees: Da heisst ein ertappter Drogendealer Krämer, und ein von ihm versuchterweise bestochener Grenzbeamter lehnt den steuerfrei offerierten Betrag ab und holt zum entrüsteten Referat aus, von wegen, man sei hier in keiner Bananenrepublik, sondern in einem von robuster,bananenkrümmungsregulierungs-republikanischer Korrektheit geprägten Land. Der Konstanzer Tatort ist der Tatort, der brisante Themen wie Steuerflucht oder Neid und Mord unter Schriftstellerkollegen aufgreift, diese aber immer viel zu mechanistisch ausführt.
Wie aber ist es nun mit der neuen Ausgabe? Um die Katze aus dem Sack zu lassen: “Nachtkrapp” ist der Beste Konstanzer Tatort seit Kommentatort-Gedenken.
Kind ermordet
Ein Diakon Franz Hobmann (Yves Raeber) sammelt in einem Ferienlager die ihm anvertrauten kleinen Jungs ein, die sich beim Fussball vergnügten. Die Klischeemaschine nimmt Fahrt auf. Wohl erschrickt man, dass es ein Kind als Mordopfer treffen wird (das ist eher selten im Tatort). Noch ist es nicht so weit. Schnitt. Zeit für die Nachtruhe, für eine letzte Kissenschlacht: Schon schleicht ein Schatten am Fenster vorbei – er markiert das Unheimliche, füllt aber ungeschickterweise den halben Raum aus, was zwar an Schattentheater erinnert, aber nicht so richtig spannend wirkt. Jetzt geht es nicht mehr lange, bis ein toter Junge wird aus dem Bodensee gefischt wird. Der Bodensee spielt auch dieses Mal eine Hauptrolle, als Sehnsuchtsort für Frau Blum wie als Einfallstor der Kripo Thurgau, die die Kinderleiche zurück zum Heim bringt.
Lüthi, Matteo Lüthi
Über den See schippert auch der neue Thurgauer Ermittler Matteo Lüthi (Roland Koch). Lüthi hat eine bewegte Vergangenheit, die er beim “Nachrichtendienst des Bundes” alles andere als abgesessen hat. Natürlich ist Lüthi von der Marke “Einsamer Wolf“ ™; dass er kein Teamplayer ist, muss man nicht eigens erwähnen. Reibereien mit Klara Blum sind programmiert, weil sie selber gerne die Fäden in der Hand haben würde. Die beiden Alphatiere finden vor dem grausigen Kindermord wieder zusammen und kooperieren recht gut, und sogar Perlmann wacht angesichts dieser Herausforderung aus dem Schlummermodus auf.
Die Perle Perlmann
Als Perlmann hört, dass wenige Kilometer vom Tatort entfernt der als Kindermörder vorbestrafter Ex-Häftling Holger Nussbaum (Hansa Czypionka) lebt, weiss er, dass er der Mörder war. Blum widerspricht ihm (Perlmann schnürt schmollend die Lippen zu), Blum muss es ja wissen, denn sie war an der Verhaftung Nussbaums beteiligt. Auch Matteo Lüthi mahnt zur Besonnenheit. Perlmann macht gleich doppelt den Zweiten. Während er sich sonst immer nur Frau Blum unterordnen muss, kommt nun auch noch der neue Schweizer Kommissar hinzu. So gesehen macht Perlmann sogar den Dritten, lässt Matteo Lüthi Frau Blum doch nach seiner Pfeife tanzen.
Mal wieder die Work-life-Balance
Frau Blum wird mit bewährten Mitteln noch tatorthodoxer ™ gezeichnet. Sie schläft auf dem Sofa im Kommissariat, die Ermittlungsunterlagen neben sich. Duschen und Kleider wechseln muss sie nicht, sie sieht auch so – bis auf das Gesicht – schnell wieder wie aus dem Ei gepellt aus. Natürlich hat auch Matteo Lüthi Müh und Not mit dem Unterscheiden von Beruf und Freizeit. Anstatt im Kommissariat sieht man ihn aber, wie er sich seine Nächte im Haus am See um die Ohren schlagen, über Ermittlungsakten gebeugt natürlich auch er.
Film nimmt Fahrt auf
Dann wird Kommissarin Blum von Nussbaum entführt. Ihr Entführer sperrt sie in einen Bunker und stellt Lösegeldforderungen. Das klingt billiger, als es ist, denn im Bunker nimmt der Film Fahrt auf. Blum wird von Zweifeln geplagt: Es muss etwas schief gegangen sein bei der Verhaftung Nussbaums. Endlich ist Blum mehr als nur das feinfühlige Orakel, geplagt, gejagt von der Vergangenheit. Dieser Zustand währt nicht lange; bald ist sie wieder ganz die Alte, fähig, aufgrund einer nun doch eher knappen Beschreibung wie “Er hatte ein Milchgesicht” herauszufinden, wer vor fünfzehn Jahren tatsächlich der Kindermörder war. Blum und Nussbaum geraten aneinander, und am Ende bricht Nussbaum dermassen sehenswert auseinander, dass es nur noch beklemmend ist. Das ist ein richtig guter TV-Moment, wie man ihn in Konstanz selten zu sehen bekommt.
Vielversprechend und gefährlich
Der neue Schweizer Ermittler Matteo Lüthi gefällt. Es wird dem Konstanzer Tatort nicht schaden, wenn er, wie angekündigt, bald wieder zum Einsatz kommt. Sein Nachrichtendienst-Hintergrund wirkt zwar gesucht: Frau Blum hat schon recht, wenn sie ihm aber fadengerade ins Gesicht sagt, dass der Bodensee nicht am Hindukusch liege. Besonders an den Haaren herbeigezogen wirken die Traumata, die Matteo Lüthi vorgeblich quälen sollen. Als ob man beim NDB andauernd durch knietiefes Blut waten müsste, und nicht viel eher meterhohe Aktenstapel abarbeiten oder undichte Stellen im Grossraumbüro ausfindig machen müsste. Dieser neue Kommissar ist definitiv eher Jack Bauer als Sachbearbeiter mit Sitzkeil und luftgefülltem Sitzkissen auf dem Bürostuhl. Das ist auch gut so, nur sollte man Matteo Lüthi nicht in jeder der hoffentlich zeitnah folgenden Episoden als durch kriegsähnliche Geheimdiensteinsätze geprägten einsamen Wolf zeigen.
Von Kratzlauten und Fieberkurven
Die Schweizer Mundart in der ARD-Synchronfassung fällt auf mit immenser Kratzlautdichte und erfreulicher Absenz noch klischeehafterer Elemente wie etwa den andernorts unbedacht oft bemühten, unsäglichen Verkleinerungsförmlis. Die Kulisse aus See, Bergen, Wasser, Matten und Nebeln wird gekonnt eingesetzt. Das beweist, dass man solche Elemente einsetzen kann, ohne den Tatort zum Wanderland-PR-Film verkommen zu lassen. Unerfreulicher waren da schon die sogenannten Spannungselemente, die ‘unheimlichen’ Schatten etwa und die Musik, die nicht immer subtil auf die Fieberkurve der Handlung verwies, oder die stummfilmhaft lange und karikaturesk weit aufgerissenen Augen der Polizistin, als sie, mit einer Wumme bewaffnet, von dem mit einem Sackmesser bewaffneten Mörder überwältigt wird. Trotzdem der mit Abstand beste Konschtanzer seit sehr, sehr langer Zeit.
- Nur noch eine Runde
- Snow White Reloaded