gesichtet #18: Eine ungewöhnliche Nachbarschaft
Von Michel Schultheiss
Oft wird nach Konflikten gesucht, wo gar keine vorhanden sind. Wenn diese nicht existieren, so schafft man sie eben und hält sie künstlich am Kochen. Dies ist vielerorts eine durchaus gängige Methode, um Aufmerksamkeit zu erheischen. An der Basler Fasnacht wird dieser Unsitte gerne der Spiegel vorgehalten und in lokaler Manier herrlich persifliert. Peinliches Gezänk bildet den Stoff für so manches gelungene Sujet. Doch wie gesagt braucht man an gewissen Orten nicht nach Problemen zu suchen, weil das eintrifft, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. So etwa an der Meret Oppenheim-Strasse im Gundeli. Umgeben von Garagen und Werkstätten lässt sich dort eine bemerkenswerte Nachbarschaft ausmachen: Die Guggenmusik Messingkäfer und die islamische Glaubensgemeinschaft «Basel Hicret Camii» teilen sich seit vielen Jahren das gleiche Gebäude.
Während sich die einen im Keller zum «Schränzen» versammeln, treffen sich die anderen im oberen Stockwerk zum Beten. Dabei ist aber zu beachten, dass die Moschee nicht nur über einen Gebets- sondern auch über Unterrichts- und Aufenthaltsräumlichkeiten verfügt. Es werden dort auch familiäre Anlässe der türkischen Community durchgeführt. Insofern haben die beiden Nachbarn auch einen gemeinsamen Nenner: Beiden ist geselliges Beisammensein wichtig, wenn vielleicht auch mit unterschiedlicher Getränkeauswahl. Und Kopfbedeckungen kommen in beiden Szenen durchaus vor. Oder eben auch nicht – wobei die Gugge IG bekanntlich darauf Wert legt, dass während der Fasnacht stets mit aufgesetzter Larve und nicht nur mit dem Käppli gespielt wird. Trotzdem dürfte wohl jeder, der schon einmal in einer geschlossenen Beiz von einer so richtig in Fahrt gekommenen Gugge zugedröhnt und durchgeschüttelt wurde, sich fragen, wie denn diese Nachbarschaft reibungslos vonstatten gehen sollte. Wie mir ein Messingkäfer erklärte, stellt dies gar kein Problem dar: Die Guggenmusiker, die schon lange vor der Moschee im Gundeli heimisch waren, haben den Keller schalldicht isoliert. Weder hören die Messingkäfer die vom Imam rezitierten Koranverse noch vernehmen die betenden Muslime die Pauken, Posaunen und Sousaphone der Gugge. «Wir leben gut aneinander vorbei» – so fasste der befragte Fasnächtler das Nachbarschaftsverhältnis zusammen.
Das Nebeneinander war allerdings nicht immer ganz harmonisch. Vor Jahren soll einmal ein konservativer Imam am Ruder gewesen sein, welcher das ganze Haus kaufen wollte, um ein Kulturzentrum einzurichten, wie sich ein anderer Messingkäfer erinnert. Es sei sogar zu einem Übernahmeangebot für den Cliquenkeller gekommen. Doch der Hauseigentümer habe nicht darauf eingehen wollen. Doch all dies sei Schnee von gestern. Nun ist der besagte Vorbeter nicht mehr dort und seither leben die beiden Nachbarn friedlich nebeneinander. Zu Berührungspunkten kommt es dabei kaum. Mit einer Ausnahme: Ein türkischer Bub mit einer leichten Behinderung, komme bisweilen an die Proben, wie die zwei besagten Messingkäfer erzählten. Begeistert begleite er jeweils die Guggenmusiker mit einer Art Lufttrompetenspiel. Wie lange die Nachbarschaft noch dauern wird, weiss man nicht. Der Grund dafür sind die Umbaupläne: Die Gebäude an der Meret-Oppenheim-Strasse werden bald abgerissen und werden einem Hochhaus weichen. Das könnte vielleicht zu Veränderungen bei der womöglich einzigen «Guggemoschee» führen.
- Analog Brother Number One
- Gesänge über das Jetzt – Jan Drees