«Masculin-Féminin» oder Die grelle Zeitreise in die Nouvelle Vague

Die Theatergruppe «man zeigt bein» inszeniert Jean-Luc Godards «Masculin-Féminin» im Engelhofkeller des Deutschen Seminars der Uni Basel und lässt die 1960er-Jahre wiederaufleben. «Zeitnah» berichtet von der Premiere.

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Anti-Vietnamdemonstrationen, neue Waschmaschinen und das ganz normale Leben: Die Inszenierung von Godards «Masculin-Féminin» versetzt uns in eine Zeit, die der heutigen gar nicht so fremd scheint. zVg

Von Daniel Lüthi

Es fängt an mit einem Schattenspiel. Hinter beleuchteten Stoffwänden sehen wir Silhouetten, die in mehreren Szenen gleichzeitig mitspielen. Man diskutiert, streitet, flirtet, tanzt, ehe die Schauspieler aus dem Dunkeln treten und die eigentliche Aufführung beginnt. Selten bleiben die Darsteller lange an derselben Stelle positioniert, und man registriert erst nach und nach, dass Ort und Zeit manchmal mitten in der Szene wechseln. Kennern von Jean-Luc Godard sind diese postmodernen Narrative selbstverständlich geläufig, doch auch als Neuling lässt man sich rasch auf das vernetzte Spiel ein. Wir folgen etwa Bettgeschichten, welche abrupt in Tonaufnahmen im Studio münden, nur um zwischenzeitlich einer Anti-Vietnamaktion beizuwohnen.

Nouvelle Vague auf der Bühne

Die Idee, Godards «Masculin-Féminin» als Theaterstück umzusetzen, ist gewagt: Der Film von 1965 gilt als Musterbeispiel für die Nouvelle Vague im französischen Kino der 1950er- und 1960er-Jahre, wo der traditionelle Erzählstrang von Handlung aufgelöst und in gebrochenen, oft dokumentarisch wirkenden Einzelszenen wiedergegeben wurde. «man zeigt bein» setzt diese Experimentierfreudigkeit unter anderem gestalterisch fort.

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Jean-Luc Godards Film von 1965 brach mit der klassischen Erzählstruktur und fokussierte sich auf Einzelszenen, die nicht unbedingt logisch oder zusammenhängend sein mussten. zVg

So wurde die Bar des Engelhofkellers umgestellt, um den Raum optimal zu nutzen. Kaum ein Schritt trennt das Publikum vom Steinboden, über den die Schauspieler schlurfen, rennen, wo sie die Mauern mit Plakaten vollkleben oder Schmiere stehen. Die Gegenkultur und politisch geladene Atmosphäre vor 1968 in Paris werden gut eingefangen – der Keller trägt sogar noch zur konspirativen Stimmung bei. Insbesondere Robert (Samuel Ammann) scheint immer etwas im Schilde zu führen, seien es Pamphlete oder bloss der Versuch, mit seinen Vorträgen über den Sozialismus bei Mädchen wie Catherine (Simone Moser) zu punkten.

Das Spiel mit Stereotypen

Die Zeitreise macht Spass, weil sie Fragment bleibt und nicht den Anspruch der Vollständigkeit oder getreuer Wiedergabe des Films erhebt. Verglichen mit anderen Werken Godards, etwa «Pierrot le Fou», ist «Masculin-Féminin» weniger zusammenhängende Geschichte als vielmehr ein Mosaik von Szenen, und alle angemessen umzusetzen, hätte wohl einen zu grossen Aufwand zur Folge gehabt. Was nicht bedeutet, dass der Abend in unnötiger Hektik oder Längen versinkt, im Gegenteil. Die Übergänge der einzelnen Handlungen verleiten zum Hin- und Hergucken, in der Pause diskutiert man, welchen der zeitgleich laufenden Szenen man lieber zusah.

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Auch in der Inszenierung von «man zeigt bein» ist «Masculin-Féminin» eine Geschichte, die vor allem vom Charakterspiel und der Momentaufnahme lebt. Vorne: Robert (Samuel Ammann) und Catherine (Simone Moser). Hinten: Paul (Thomas Stocker) und Madeleine (Sabrina Lisi). Foto von Daniel Grabherr

Das postmoderne Chaos bleibt meist aus, und wenn es auftaucht, dann glücklicherweise ironisch. Suizidale Waschmaschinenwerbung, antiimperialistische Gespräche bei Coca Cola – stets wirken die Darstellungen übertrieben und karikieren die Figuren schlimmstenfalls zu Stereotypen, doch solch scharfe Konturen machen den Film (und das Stück) auch heute noch interessant und frisch. Natürlich ist «Masculin-Féminin» in erster Linie ein Liebhaberstück für Fans des Films und der Nouvelle Vague, aber die Parolen und Themen der 1960er-Jahre haben heute unter anderem Namen unveränderte Gültigkeit.

«Masculin-Féminin oder Die Kinder von Marx & Coca Cola»
von «man zeigt bein» im Engelhofkeller, Deutsches Seminar, Nadelberg 4
Weitere Aufführungen am 11. und 12. Oktober sowie ein Gastspiel im Neuen Kino Basel am 26. Oktober
Beginn um jeweils 20 Uhr 15
Tickets: CHF 20.- / 10.- für StudentInnen
Reservationen über manzeigtbein@gmx.ch

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