Die Guy-Krneta-Leaks – Rezension zu «Unger üs»

Guy Krnetas «Unger üs» unter der Lupe.

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«Unger üs» ist ein heimlicher Mitschnitt verschiedener (Selbst-)Gespräche: Krneta-Leaks, kein «Familienalbum», wie der Umschlag flachst. Es ist eine lose Textsammlung, auf Vortrag getrimmt, auf Performanz, ganz auf den Atem des Autors abgestimmt, den wir bei der Lektüre denn auch stets im Nacken spüren. Er lässt keinerlei Zweifel, was wir von seinem Buch zu halten haben.

Der Plot von Guy Krnetas neuem Buch «Unger üs» passt auf einen Bierdeckel: Mann, Frau, Trennung, Vaterschaftstest. So weit, so gut. Weil das noch nicht einmal ein Spoken-word-Buch ausmacht, wird darum herum ein «Familienalbum» gestrickt: Opa nervt mit Diavorträgen, nervige Sippschaften drängen ins Bild, Dienstverweigerung in der Vor-Zivi-Zeit wird betrieben, Pornos werden im Knast angeschaut, Geschichtchen zum Besten gegeben aus dem Puff und vom Erbrechen, von Politik und Zeitgeist, Phrasen wie «Lieber Bi als nid drby» – und selbst Ahnvater Goethe wird reingefriemelt. Man sieht und spürt: da hat einer schaurig gern ein Buch schreiben wollen. So sehr, dass sogar der Verlag selbst davon angesteckt wurde: «Gesellschaftsroman» wird das Büchlein dort genannt. Dabei handelt es sich aber vielmehr um die Linernotes zu einer CD. Der Text wiederholt sich andauernd und variiert sich. Wie im echten Leben, im gesprochenen Wort. Dass diese, sich selbst ständig paraphrasierende Verdauung den Figuren in den Mund gelegt wird, schützt Krneta vorm Vorwurf der Beliebigkeit seines auktorialen Zugriffs, die Gmögigkeit der Sprache vor allzu viel Kritik.

Flugstunden für ein Buch?

Das Buch nervt und es ruft nach Flugstunden. Dann aber folgt ein solcher Satz:

«Komisch syg nume, het dr Grosvatter gseit, […] dass’r nümm wüss, was fürne Schprach si zäme gredt heige. […] Irgendwie heig’r ds Gfüeu, di heig Dütsch mit ihm gredt.»

Das ist nur ein Beispiel für die Tendenz des Textes, die Sprache nicht nur routiniert zu beobachten, sondern auch die Auseinandersetzung damit zu vertiefen. Ja, die Reflexionen zur Sprache, zu Heimat, Fremde und Grenzen geben dem Text doch noch eine betörende Mitte. Zwar hat man alles schon einmal irgendwo gelesen, aber das spielt ja nun wirklich keine Rolle. Die Annahme jedoch, dass «mir nume chönni i Wörter fasse, was mir vorhär aus sinnlechi Wahrnämig wahrgno heige» lockt nun wirklich niemand hinterm Ofen hervor. Knapper kriegt das auch Wiki nicht hin, ganz sicher nicht das alemannische Wiki. Schade, dass es bei dieser grossspurigen Benennung bleibt, dass es aber nicht auf Figurenebene ausagiert wird.

Ohren lesen mit

Beim Lesen wenigstens geht nix ohne sinnliche Wahrnehmung. Das Ohr liest mit, freut sich am Hin und Her der Figuren, das uns vor allzu viel beschreibenden Passagen bewahrt. Übrigens auch vor allzu viel Handlung: denn als diese endlich doch noch ins Büchelchen fährt, ist es schon zu spät, das Werk so gut wie um. Damit keine Missverständnisse entstehen: Trotz Figurenvielfalt herrscht nur eine Stimme, diejenige Krnetas, vor, daran ändern auch die zuweilen subtilen Wechsel zwischen direkter und indirekter Rede nichts, genau so wenig wie die träfen Witzchen oder der in vielen Rezensionen erwähnte Kalauer von der Schrumpfschweiz.

Keine Vieldeutigkeit

Was ist dieses Buch? Roman? Gesellschaftsroman? Fragmentensammlung? Novelle? Nein. «Unger üs» ist ein heimlicher Mitschnitt verschiedener (Selbst-)Gespräche: Krneta-Leaks, kein «Familienalbum», wie der Umschlag flachst. Es ist eine lose Textsammlung, auf Vortrag getrimmt, auf Performanz, ganz auf den Atem des Autors abgestimmt, den wir bei der Lektüre denn auch stets im Nacken spüren. Er lässt keinerlei Zweifel, was wir von seinem Buch zu halten haben. Zwischen Diavortrag, Bühnenpointe und Zitaten bleibt keinerlei Vieldeutigkeit. Es bleiben mal sehr, mal kaum gelungene Miniaturen, sehr routiniert, nicht raffiniert. Phrasen wie «PCs können nicht vergessen» oder «E-Banking ist wahnsinnig praktisch» werden auch in Mundart nicht literarischer. Die Krux: Je mehr man der Mundart zutraut, desto weniger haut einen Krnetas Buch um. Wer zweifelt denn noch, nach Hebbel, Mani und Kuno, Steff und Kutti, an der Fähigkeit der Mundart, jedes Thema zu transportieren? Vom Schnäbi zur DNA, vom Liebeswahn zum Familienschlauch? Aber eben: Dialekt hat halt deutlich weniger Publikum als Hochdeutsch. Dafür steigen Treue und Jöö-Effekt, und, hat man «sech düredränglet dür di Masse, ix tuusig Lüt, füren a d Büni» und ebendort installiert, ist’s nicht mehr weit von der Publikation zur Buchpreis-Nomination. Mal ganz «Unger üs» – «Erfungen isch schnäu mau. Aber när muesch non e Tumme finde, wo dr’s abchouft.»

Guy Krneta: Unger üs. Familienalbum
Der gesunde Menschenversand, 2014
ISBN 978-3-905825-90-9
CHF 23.00
Taschenbuch, 168 Seiten

Eine gekürzte Fassung dieser Rezension erschien erstmals im «Literarischen Monat» (19/2014).

2 Gedanken zu “Die Guy-Krneta-Leaks – Rezension zu «Unger üs»

  1. Balthasar U. von Schenck

    Mich nervt vor allem der norddeutsche Slang des Rezensenten: „Flachsen“ und „reinfriemeln“.


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