«In Mohnblumen: Briefe 1914» – Rezension von Gregor Szyndler

Das junge Ehepaar Sophie und Bastian schlittert in den Ersten Weltkrieg. – Die Buch-App «In Mohnblumen: Briefe 1914» arbeitet den Kriegsbeginn gleich doppelt auf.

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«In Mohnblumen» liefert einen eingängigen und eindrücklichen Einstieg in das grosse Schlachten. Die App ist ein toller Einstand des jungen Verlags und macht neugierig auf mehr.

von Gregor Szyndler

Sommer 1914. Als der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo ermordet wird, bekommt Bastian den Marschbefehl. Sophie bleibt bei der Tante Elsa und deren Sohn Georg zurück, der begeistert ist von dem Krieg. Zwischen Sophie und Bastian entwickelt sich in ein Briefwechsel. In diesen lässt uns die App «In Mohnblumen: Briefe 1914» eintauchen, die in der Edition 21 erschienen ist. Edition 21 ist ein Verlag für neue Erzählformen, für multimedial angereicherte E-Books und Bücher-Apps. Also für so ziemlich die Zukunft des Buches und der Branche, ist man geneigt zu hoffen. Die Leserschaft wird mit Zusatzinformationen und Interaktionen in die Lektüre eingebunden. Was sich im Fach- und Sachbuchbereich bewährt hat, wird von Edition 21 im Bereich Belletristik angewendet. Nebst dem Schwerpunkt Krimi hat sich der Verlag dem Off-topic-Bereich verschrieben, in dem «In Mohnblumen – Briefe 1914» erschienen ist.

Doppelte Lektüre

Der Briefwechsel von Sophie und Bastian verdichtet sich zu einer fiktionalen Geschichte, die eindrücklich Erlebnisse der Front mit Erlebnissen in der Heimat kombiniert. Sachartikel und Hintergrundmaterial reichern den Briefwechsel an, liefern die Zahlen und Fakten hinter den Briefen. Dokumente und Kartenmaterial machen die Ungeheuerlichkeit fassbarer. «In Mohnblumen» bietet somit eine doppelte Lektüre: da ist der Briefwechsel, der die mit hundert Jahren Distanz abstrakt und unfassbar zu werden drohenden Ereignisse anhand konkreter menschlicher Schicksale aufzeigt. Die zweite, ebenfalls sehr lesenswerte Ebene der Lektüre läuft unter der Rubrik «Kontext». Hier wird die Kenntnis scheinbar wohl bekannter Ereignisse der Weltgeschichte vertieft und herausgefordert.

Vom Kippen der Euphorie

So erstaunt es, vom Attentat in Sarajewo als einer Reihung von gescheiterten Attentatsversuchen zu lesen. Mehr oder weniger zufällig sei der Thronfolger dem Attentäter am Ende doch noch vor die Pistole geraten. Die August-Stimmung im Deutschen Reich, als Anspannung von den Menschen fällt und die Euphorie der ersten Siege ein kollektives Fieber befeuert, wird von Stefan Zweig festgehalten. Er zeigt das Kippen der Euphorie in Misstrauen und Paranoia, als alte Ressentiments ausbrechen und eine gespenstische, bedrückende Stimmung um sich greift: «Opferfreude und Alkohol, Abenteuerlust und reine Gläubigkeit, die alte Magie der Fahnen und der patriotischen Worte» vermischen sich zu einem giftigen Cocktail. Bald erlahmt der Bewegungskrieg in den überfluteten flandrischen Feldern und entartet zu jenem Grabenkrieg, als den man den Ersten Weltkrieg gemeinhin erinnert. Auch der Propagandakrieg, der um den Ersten Weltkrieg entstand und ihn zu einem der ersten auch medial ausgefochtenen Kriege machte, wird für beide Kriegsseiten aufgearbeitet und mit Illustrationen sichtbar gemacht.

Gelungener Einstieg und Einstand

Die doppelte Aufarbeitung dieser für unsere Gegenwart nur scheinbar irrelevanten Ereignisse überzeugt und sorgt für aufschluss- und einsichtsreiche Lektüren. So kann man je nach Naturell eher dem fiktionalen Briefwechsel oder dem die Historie aufarbeitenden Geschichtsnarrativ folgen. Das ganze Bild entsteht dann allerdings erst in der Überlagerung beider Lektüren. «In Mohnblumen» liefert einen eingängigen und eindrücklichen Einstieg in das grosse Schlachten. Die App ist ein toller Einstand des jungen Verlags und macht neugierig auf mehr. Der Verfasser Christoph Schelhammer hat eine überwältigend grosse Thematik in eine handliche, gut lesbare, unterhaltsame und lehrreiche Form gegossen.

In Mohnblumen: Briefe 1914
iPad: 4 Franken
iPhone: 2 Franken (das ist die besprochene Version)
Edition 21
erhältlich im App-Store

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