Mona Lisa, Teil 2 – Krimi von Andy Strässle
Im zweiten Teil von Andy Strässles «Mona Lisa» ist die Presse dem «dümmsten Dieb der Welt» auf den Fersen. Wir erfahren, warum der Raub des berühmtesten Bildes der Welt nie hätte funktionieren dürfen.

Andy Strässle erzählt in seinem kriminalistischem Dreiteiler die unglaubliche Geschichte eines «Mona Lisa»-Diebs. Warum klaut einer so ein Bild? – Erfahren Sie am nächsten Sonntag, wie es zu Ende geht mit dieser haarsträubenden Geschichte.
von Andy Strässle
Niemand hatte irgend etwas vergessen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mich im Haus meines Bruders finden würden. Die Geschichte kam jeden Tag am Fernsehen. Schon im Gefängnis hatte ich das Angebot bekommen, einen Buch zu schreiben oder die Tagebücher zu veröffentlichen. «Schau dir das an», sagte Ralph, da bist du schon wieder. Die Schlagzeilen waren unwiderruflich, unerbittlich, unwiderstehlich. «Raub geht in die Hose», oder «Der dümmste Räuber ist wieder draussen», unweigerlich wurde ich mit Youtube-Clips von denjenigen verbunden, die einen Joint auf einem Sofa rauchten, einschliefen und von der Polizei geweckt wurden. Unvermeidlich, die Bilder meines Anwalts, als der Verdacht einmal auf mich gefallen war und die Polizei das Tagebuch fand. Er hatte geweint. Vor laufenden Kameras. «Wer schreibt denn so etwas auf, wer zum Teufel schreibt so etwas auf», sagte er im grellen Licht der Scheinwerfer vor dem Gerichtsgebäude in einer kleinen Basler Gasse. «Wer das tut, der ist nicht nur dumm, er ist der dümmste Verbrecher der Welt».
Im Einfamilienhaus meines Bruders ging es mir nicht schlecht. Ich spielte viel mit Tim und Tara, half Iris so gut ich konnte beim Einkaufen und Kochen und war sogar dabei, etwas halbherzig Bewerbungen zu schreiben. Es war allerdings nicht leicht, das Offensichtliche zu übersehen, niemand würde mich in der Branche anheuern, wenn er dachte, ich sei der «dümmste von Allen», schliesslich bildeten wir uns etwas darauf ein, clever zu sein. Als Kommunikationsmensch hatte ich bevor ich einfuhr natürlich versucht, den Spin zu kontrollieren, die Story an mich zu reissen, mit einigen ausgewählten Interviews auch meinen Senf dazuzugeben, aber niemand, niemand kann einen Dammbruch stoppen. Und vor über acht Jahren war der Damm nicht gebrochen, er wurde weggefegt. Niemand hatte je gefragt: «Wie hast du das gemacht?» Sie fragten mich immer nur: «Warum haben Sie es aufgeschrieben, das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen.»
Hey, eigentlich hatte ich es gemacht, um es aufzuschreiben und die erste Antwort, ist auch nicht so schwierig. Ich hatte Ralph getroffen. Ralph war die Antwort gewesen. Er arbeitete bei der Total-Assurance. Trotz Spionierei von Google, trotz Interpol und Geheimdiensten, mit den bestens vernetzten Datenbanken des Versicherungskonzerns konnten sie es schlicht und einfach nicht aufnehmen. Ein Versicherungskonzern sammelt einfach alles, Pläne, Akten und führt ein perfekt nachgeführtes Archiv.
Während ich mit Tara und Tim im Sand wühlte, vermochte ich nicht zu sagen, ob es wirklich so gewesen war, dass dein Interesse an mir erlahmt war, aber es war so gewesen, dass ich dich gerne mehr gesehen hätte, was wiederum weniger dein Bedürfnis gewesen war. Plötzlich taten kleine Dinge weh: «Du hast so viele italienische Schuhe, wer braucht so viele Schuhe.»
Du warst Corina, du brauchtest nicht so viele Schuhe, das stand fest. Es waren auch viele Vollmonde vergangen, seit ich mir darüber Gedanken gemacht hatte, meinen Porsche einzutauschen. Manchmal trug ich sogar Jeans zur Arbeit und – das ist kein Scherz – das gar zwei Tage hintereinander. Daneben waren unvermittelt Turnschuhe mein Ding.
Es war eine gute Sache, das Tim und Tara an der frischen Luft waren, Zeit nachzudenken, hatte ich ja auch genug gehabt, aber irgendwann schien ich nur noch eifersüchtig zu sein. Und Ralph war die Antwort. Sicher, seine Anzüge, sie sassen nicht perfekt. Seine Haltung Parkbussen gegenüber war viel zu vorsichtig. Faszinierend dagegen war seine innere Überzeugung, die nach dem dritten Wodka stetig wuchs, dass man alles stehlen konnte, wenn man nur genügend Informationen zusammentrug.
Mit Tim und Tara im Sandkasten wurde mir klar, wir hatten gute Zeiten gehabt, es gab keinen Grund für meine Panik. Wir waren ein Paar, ein widersprüchliches zwar, aber meistens hatten wir Spass und nahmen die Dinge nicht schwer. Zwar hieltest du mich noch immer nicht für einen Schreiber, aber an guten Tagen kamen die Slogans leicht und es war einfach, als Creative Director, den kreativen Fluss zu bremsen. Und vielleicht hattest du tatsächlich nur ein bisschen Freiheit gewollt. Zeit, um mit deinen Freundinnen abzuhängen, oder nichts zu tun.
Wenn Tim etwas Sandkasten vergraben hat, fällt es ihm leichter als Tara einen Moment zu warten, bis er es wieder ausgräbt. Keine Frage, ich bin da ganz bei Tara. Vergraben ja, aber sofort wieder rausholen. Wäre es anders gekommen, wenn ich dich besser verstanden hätte? Hätte ich etwas tun können?
Am Ende hatte ich alle verarscht, Ralph hatte gedacht, ich wäre brillant und täte es wegen dem Geld, ich selbst dachte, ich täte es wegen dir und weil ich darüber schreiben konnte. Und die Vergeblichkeit erschien irgendwie romantisch. Unterdessen musste ich den Porsche verkaufen, da wir russische Hacker beschäftigten, die den Louvre lahmlegen sollten, Jürgen, der Fremdenlegionär aus Hamburg war auch nicht günstig. So blieb mir nichts anderes, als mit dir im Sommer picknicken zu gehen. Oder wir gingen wandern, oder wir sassen, ganz ohne etwas zu konsumieren in deinem Garten rum. Die Zeit der Planung war so romantisch, wie es noch nie eine Zeit gewesen war und oft kam ich zu Fuss zu dir oder mit dem Taxi. Kein Ärger mit dem Porsche, kein Ärger mit dem Einkaufen. Das gefiel dir ganz gut. Du meintest, ich hätte mich verändert. Und ich hatte mich verändert. Geheime Treffen mit Ralph. Dem ungeduschten Jürgen, Skype mit den russischen Hackern.
«Ich will dich zurückgewinnen», sagte ich am Samstag.
«Ok cool, hilf mir morgen Nachmittag meine Aufsätze zu korrigieren und du hast mich,» sagtest du. Zwei Dinge, die Dubliners sind schwierig zu verstehen, und auch Fremdenlegionäre taugen nichts. Immerhin, ein paar deiner Schüler bekamen gute Noten, weil ich mich einfach nicht konzentrieren hatte können. Als ich fertig war, küsstest du mich und sagtest: «Du hattest mich vorher schon, aber danke, dass du das gemacht hast.»
Corina war leicht, ich war schwer. Aber ich dachte lange darüber nach. Damals. Wenn du sagtest: «Ich liebe dich», fragte ich mich: Warum sagt sie das jetzt?
Wenn du es nicht sagtest, fragte ich mich: Warum sagt sie es jetzt nicht.
Beim besten Willen, als ich in Untersuchungshaft sass, da konnte ich noch nachdenken, weil die Zeit, die Freiheit noch ungewiss waren, da fragte ich mich, was schief gegangen sein konnte, warum ich alles falsch verstand. Es war nicht so, dass wir nicht reden konnten, es war nicht so, dass wir gar keine Ahnung von Sexualität gehabt hätten.
Wir gingen Eis kaufen heute. Und ich war dabei es auszupacken. Und Tara schüttelte mich und sagte: «Ich bin hier.»
Das war es, was du gesagt hattest: «Ich bin hier, wenn du willst. Das ist vielleicht nicht viel, aber es ist auch nicht wenig. Wenn du willst, dann bin ich hier.»
Tara konnte ich einfach das Eis geben. Das war schön. Vor einem Laden in Baden. Hier geschah nicht viel. Ausser, dass ein kleines Mädchen sagte, dass es hier sei. Wo war ich gewesen? Die letzten Jahre sind ja klar. Aber vorher? Wo war ich gewesen. Wo du?
Wir taten es an einem Mittwoch. Am Morgen. Die Pariser Gendarmerie hat dann in allen Bezirken Public-Policing-Management-Besprechungen. Kurz gesagt, die Uniformierten erscheinen zum Rapport. Um sich wirklich zu berappeln, ginge es einige Minuten länger. Auf allen Ebenen würde der Hack der russischen Hacker in der Nacht beginnen. Eine Spam-Orgie unbekannten Ausmassen ginge auf die französische Hauptstadt nieder, ohne jeden Sinn und Verstand. Die Autounfälle, die Bombendrohungen, ich machte die Stadt via Medien fertig und das war der einzige Teil des Plans, der wirklich funktionierte. Sonst hatten Ralph und ich einfach die Codes. Mit den Bewegungsmeldern, Lasersicherungen und den Audiodingern und den Erschütterungssensoren liessen wir es einfach darauf ankommen.
«Was schreibst du eigentlich die ganze Zeit», hattest du mich gefragt, als wir wieder Picknicken waren. «Ich bin ein Schreiber, ich schreib’ einfach.»
Corina sagte: «Du kannst mir reden, weißt du, aber ich will nicht, dass du …»
Sicher, ich schrieb schon, ich hatte auch schon lange geschrieben, aber einfach, weil es einfacher war, als Backsteine zu schleppen.
Du sagtest: «Wir sind doch OK, ich liebe dich, wenn es dir nicht gut geht, kannst du es mir sagen.»
Tara sagte: «Mein Eis ist auf den Boden gefallen. Scheisse».
Tim meinte: «Onkel Richi, sag’ ihr, das man nicht Scheisse sagt.»
Ich sagte: «Scheisse, sie hat mich sogar gefragt, oder?»
Die Kids waren plötzlich wach und ich verstand besser, warum mich Iris nicht nur einen guten Einfluss fand. Schon vor dem Knast war ich an der Playstation super gewesen, aber nach dem Knast… Ich konnte den Kids durchaus die guten Moves zeigen, auch weil ich die guten Moves von Typen hatte, die noch gar nie etwas anderes sinnvolles gemacht hatten.
Tim auf seine enervierende Art meinte: «Ja, ja, sie hat es dir gesagt und du hast es trotzdem gemacht.» Er war ganz sein Vater. Mein Bruder kam jeden Tag vom Rasenmähen, von der Arbeit, vom Autowaschen oder von Irgendetwas rein und sagte: «Ruf sie doch einfach an.»
Was sollte ich sagen, wenn ich es tat. Sollte ich sagen, die Bombe sei eine gute Idee gewesen, sollte ich sagen, es sei möglicherweise übertrieben gewesen. So oder so, mein Bruder ging sich immer schon vorher die Hände waschen, bevor mir die Antwort eingefallen war.
«Was schreibst du eigentlich die ganze Zeit», hatte mich Corina misstrauisch gefragt. Beim Italiener standen Kerzen auf dem Tisch, die Stimmen waren gedämpft und das Essen ganz in Ordnung. Um meiner Antwort etwas mehr Gewicht zu geben, sah ich nachdenklich in meinen Rotwein, als müsste ich erst nachdenken und meinte: «Ich bin ein Schreiber, ich schreibe eigentlich immer…» Corina wusste ziemlich genau, seit dem Slogan hatte ich nicht mehr viel geschrieben und da ich im Moment mit der Mona Lisa beschäftigt war, hatte ich es auch gar nicht vor. Ehrlich gesagt, ich wusste gar nicht so genau, ob ich überhaupt ein brauchbarer Werbetexter war, als CD versuchte ich ja eher etwas Brauchbares aus den Ideen der Kunden und den Ideen der Kreativen herauszufiltern. Im Moment aber schrieb ich Tagebuch: Ich schrieb, um meine Seele zu erleichtern und gleichzeitig schrieb ich alles auf, damit der Plan geplant werden konnte. Trotz der Total Assurance-Versicherung, den russischen Hackern und Fremdenlegionär Jürgen war die Sache ja doch ziemlich kompliziert. So schrieb ich also, um nicht zu vergessen.
Ich verstehe heute, dass die Kombination aus der Planung von Bombenalarmen, dem Lahmlegen der Polizei und der detaillierten Vorgehensweise, wie wir in den Louvre reinmarschieren wollten und dem kompromisslosen Anheulen des Mondes ziemlich wirr oder verwirrend wirken konnte. Da war auf der einen Seite meine unverständliche innere Not: Ich vermisste dich, obwohl du da warst, wollte mehr als du geben konntest und wollte es mir nicht anmerken lassen und schrieb es deshalb auf. Im gleichen Moment plante ich ziemlich skrupellos den Raub der Mona Lisa um dir meine Zuneigung ein für allemal zu beweisen. Ich verstehe die Tränen meines Anwalts, als die Polizei das Tagebuch fand.
Da stand alles drin: Verlorene Liebesbotschaften, die süssen Worte von Schmetterlingen und den Sternen, von Momenten, die wir nie vergessen sollten, neben den Plänen, wo wir alles Fluchtfahrzeuge klauen würden und den Preisen von Gesichtsmasken, die ich auf dem Internet verglich.
Du warst überrascht gewesen, als ich den Porsche verkaufte. Ich belieh die Anzahlung auf meinen Loft, nahm Kredite auf, selbst meine Firma pumpte ich an und am Ende war ich es gewesen, der dir vorschlug, wir könnten ja ab und zu auch einmal zu hause essen. Ich wollte etwas einfaches, aber es wurde schnell teuer. Die russischen Hacker waren nur durch mittelgrosse Überweisungen bei Laune zu halten. Die Typen aus Hamburg waren etwas einfacher, aber ich mietete auch eine Lagerhalle, in der wir üben konnte.
Wie ich im Knast mehr als genug Zeit hatte herauszufinden, gab es zwar so etwas wie den typischen Kriminellen nicht, dennoch war ich eine Schande für die Zunft, meine einzige Überzeugung ist bis heute, es lohnt sich jenes Verbrechen, von dem alle glauben, es sei unmöglich. Und. Zum Schluss: Es hätte nie funktionieren dürfen. In der Lagerhalle gingen die Sprengsätze meistens einfach so hoch. Jürgen und seine abgebrühten Kollegen waren manchmal derart besoffen, dass sie fast vom Stuhl fielen, auf dem sie sassen. Sie waren nicht gerade eine disziplinierte Truppe, wie mir Versicherungshengst Ralph immer wieder sagte. Natürlich hätte es nie funktionieren dürfen. Selbst, dass wir die Alarmanlage des Louvre abzustellen vermochten, um dann einfach mit den Besuchern reinzugehen, wirkt für jeden, der einmal einen Krimi gesehen hat nur noch bizarr. Trotzdem war das Drehbuch, das Storyboard aufgegangen. Die Polizei hatten wir zwar nicht hacken können. Die Kohle an die Russen war verschwendet gewesen. Beim Louvre kamen wir überhaupt nicht vorwärts. Die Hamburger um Jürgen vergassen einen Rucksack und der Sprengsatz ging nicht wie geplant auf einem Abstellgleis, sondern auf einem – zum Glück noch verlassenen – Perron hoch. Während des Prozesses sollte sich herausstellen, die Pariser Polizei hatte allerlei Sitzungen am Mittwoch, aber ein Rapport aller Arrondissements fand keineswegs statt. Ralphs Informationen waren nicht perfekt. Trotzdem hätten sie uns nie erwischt, wenn du die Mona nicht hättest wieder loswerden wollen.
Erfahren Sie das Ende des «dümmsten Diebs der Welt» am kommenden Sonntag auf www.zeitnah.ch.
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