Elemente des Physischen – Nicolas Pesces «Piercing»
Nach seinem Schwarzweiss-Schocker «The Eyes of My Mother» legt der Regisseur Nicolas Pesce einen immer noch knallharten, aber auch humorvollen Film vor, in dem sich ein junger Familienvater eine Prostituierte vorknöpfen will – ohne zu wissen, dass sein vermeintliches Opfer es faustdick hinter den Ohren hat…
Der junge Familienvater Reed (Christopher Abbott) hat eine Obsession – er will eine Prostituierte mit einem Eispickel umbringen. Doch leichter gesagt als getan. Seine kleine Tochter und seine Frau wollen ja schliesslich auch Aufmerksamkeit. Er tarnt das Ganze als ein Business-Meeting und verlässt Frau und Kind. In einem Hotel trifft er Jackie (Mia Wasikowska), doch schon bald wird aus dem Jäger selber ein Gejagter…
Nicolas Pesce hat sich schon mit seinem ersten Film als grosser Stilist und Sezierer menschlicher (männlicher?) Obsessionen erwiesen – auch «The Eyes of My Mother» war im B-Movie Basel zu sehen. Nun folgt sein Zweitling, der auf einem Roman von Ryu Murakami basiert.
Dass es sich bei der Vorlage um einen japanischen Stoff handelt, ist dem fertigen Film nicht anzusehen – auch wenn das Retro-New-York, das Pesce hier entwirft, wenig zu tun hat mit dem realen New York. Riesige Telefonbeantworter, Plattenspieler und natürlich das omnipräsente Telefon selbst lassen an eine gar nicht so ferne Vergangenheit denken, vielleicht stehen diese Elemente (ebenso wie die riesigen Hochhäuser) für eine Welt, in der das Physische selbst noch einen anderen Stellenwert hat – darauf verweist zweifellos auch der Titel des Films.
Ebenso sorgfältig wie das Visuelle wurde auch die Musik kuratiert, die in «Piercing» zu hören ist – vor allem aus italienischen Gialli (Piccioni, Nicolai) und Soul und Pop (Durand Jones & The Indications, Gene Pitney). Ryu Murakami, der Autor der Vorlage, ist übrigens selber ebenfalls Filmemacher. In seinem bekanntesten Film («Tokyo Decadence») spielt Prostitution eine wichtige Rolle – letztlich geht es aber wohl doch immer um die Unfähigkeit, eine normale Beziehung zu leben. Nicolas Pesce arbeitet im Moment an einem Remake des japanischen Films «Grudge», der bereits 2004 neu verfilmt wurde – damals aber vom Regisseur des Originals, Takashi Shimizu. Man darf gespannt sein auf das neue Werk des erst 29-jährigen New Yorkers!
«Piercing». USA 2018. Regie: Nicolas Pesce. Mit Mia Wasikowska, Christopher Abbott, Lia Costa u.a. Premiere am 10. Mai 2019 im B-Movie Basel.
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