Suche nach Anerkennung – Todd Phillips’ «Joker» / Hans Kaufmanns «Der Büezer»

Mit «Der Büezer» und «Joker» legen gleich zwei Regisseure Hommagen an den grossen Martin Scorsese vor: der Schweizer Hans Kaufmann und der US-Amerikaner Todd Phillips, der mit den «Hangover»-Filmen bekannt wurde und nun (wohl doch eher überraschend) in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen hat.

Dieser Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), der im Gotham der 80er Jahre zusammen mit seiner Mutter lebt, ist ein Loser, wie er im Buche steht: ein erwachsener Mann, der noch zuhause bei Mama lebt, beruflich so erfolglos, wie es nur geht; zudem wird der Clown und angehende Stand-Up-Komiker auch noch regelmässig verprügelt, von Passanten und anderen Fahrgästen in der U-Bahn.

Auch der Zürcher Patrick Signer (Joel Basman), genannt Sigi, ist scheinbar immer fehl am Platz. Ob bei der Arbeit, wo seine Kollegen nur von Geschlechtsverkehr und Party reden, oder in der Freikirche, die von seiner (vermeintlichen?) Flamme frequentiert wird. Oder dann beim Bündner Vermieter, der in Zürich die Ärmsten der Armen ausbeutet mit seinen mehr als nur zweifelhaften Geschäftspraktiken. Der Büezer Sigi findet seinen Weg einfach nicht…

In «Taxi Driver» sagt Travis Bickle: «I believe that one should become a person like other people.» [1] Arthur Fleck will ein erfolgreicher Komiker sein wie sein grosses Vorbild Murray Franklin (Robert de Niro); Patrick Signer, der seinen wirklichen Vornamen (Patrick) ablehnt, will endlich eine feste Beziehung. Nachdem ihn eine Frau im Café sitzenlässt, geht er sogar so weit, seine Arbeit geheim zu halten….

Travis Bickle ist die archetypische Figur des Losers, der sich in der Gesellschaft fremd fühlt und schliesslich explodiert. «Der Büezer» und «Joker» sind Hommagen an diese Figur; Todd Phillips «Joker» verweist zudem auch auf Martin Scorseses «The King of Comedy», in dem Rupert Pupkin (Robert de Niro) wie Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) selber ein grosser Komiker werden will.

Beide Filme sind dabei (auch wenn Todd Phillips dies verneint) natürlich hochpolitisch, denn in ihnen geht es nicht zuletzt um den Status von sozioökonomisch schwachen Menschen im Kapitalismus. Sicher ist der Joker ein psychisch kranker Mensch, aber die Vorstellung, dass Thomas Wayne sein echter Vater ist: ist dies nicht typisch für den Armen im Kapitalismus, der sich vorstellt, zu den ganz Reichen (wie Trump) zu gehören?

Sigi findet keinen Anschluss. (zVg)

Und auch dieser Patrick Signer, der so unter seinem Büezerdasein leidet: müsste dies in einer egalitäreren Gesellschaft auch so sein? Wichtig ist auch, dass alle diese drei Figuren, also Travis Bickle, Arthur Fleck und Patrick Signer zur (weissen) Mehrheitsbevölkerung in der USA bzw. in der Schweiz gehören. Sie sind zwar eigentlich als Weisse, vermutlich als Angelsachsen bzw. Deutschschweizer privilegiert, als weisse Männer zudem. Und doch fühlen sie sich ausgeschlossen – das verbindet sie natürlich mit den rechtsextremen Fanatikern wie Breivik. Gerade Travis Bickle ist politisch gesehen sicherlich rechtsextrem; bei Patrick Signer und Arthur Fleck ist der Fall aber weniger klar. Der Joker sagt selber, er sei nicht politisch. (In einem gewissen Sinne stimmt dies sicher auch, denn er verfügt tatsächlich über kein politisches Bewusstsein.) Auch bei Signer sind kaum politische Elemente vorhanden; auch wenn der Showdown dann doch sehr an «Taxi Driver» erinnert. Und doch ist dann wieder alles anders… weil diese Figuren (auch Bickle) über kein politisches Bewusstsein verfügen, müssen sie leiden.

Todd Phillips und (in einem kleineren Rahmen, zumindest von der Laufzeit her gesehen) Hans Kaufmann haben zwei grossartige Filme geschaffen. Sicherlich wird Kaufmann mit seinem Debüt nicht die grossen Massen erreichen: dazu ist der Film viel zu sperrig, zu wenig unterhaltsam, zu sehr schnörkellose Arthaus-Kost. Aber etwas anderes will Kaufmanns Film auch nicht sein. Nach diesen Filmen ist von beiden Regisseuren noch viel zu erwarten. Vielleicht musste es der Regisseur der «Hangover»-Filme sein, der den Superbösewicht aus Batman in etwas ganz Anderes verwandelt. Und es musste sicherlich ein Renegat wie Kaufmann her, um Joel Basman nach dem «Wolkenbruch» wieder in die Realität zurückzuholen…

«Der Büezer». CH 2019. Regie: Hans Kaufmann. Mit Joel Basman, Joachim Aeschlimann, Andrea Zogg, Simon Roffler u.a.

«Joker». USA 2019. Regie: Todd Phillips. Mit Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy u.a.

[1] https://www.quotes.net/mquote/94864


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