Warum ist gestern noch zu früh für heute? – Tanja Hammel über Sophie Taeuber-Arp
Kaum jemand kennt die einzige Frau auf unseren Banknoten, eine der vielseitigsten und bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, Sophie Taeuber-Arp. Sie war eine Ausnahmeerscheinung.

«Warum können wir die Leistungen einer Frau, die sich seit den 1910er-Jahren, Jahrzehnte vor dem Frauenstimmrecht in der Schweiz, einen solchen Handlungsspielraum erkämpfte und solche Werke schuf, nicht würdigen?» (wikiart)
Von Tanja Hammel
Im Jahr 1889 in Davos geboren, in Appenzell aufgewachsen, wo in vielen Bauernhäusern ein Webstuhl stand und die Textilindustrie Konjunktur hatte, in der Textilabteilung der Ecole des Arts Décoratifs in St. Gallen und der Debschnitz-Schule in München und Hamburg ausgebildet, unterrichtet sie die Textilklasse an der Zürcher Kunstgewerbeschule. 1915 lernte Sophie Taeuber den Künstler Hans Arp und Dadaisten kennen. Im Cabaret Voltaire trat sie aus Ausdruckstänzerin auf. 1918 war sie Mitunterzeichnerin des Dadaistischen Manifests in Zürich und schuf den ersten ihrer berühmten «Dada-Köpfe».
Gesamtkunstwerk, von allen Seiten
Nach mehreren kleineren Ausstellung einzelner ihrer Werke in Gruppenausstellungen – meist zusammen mit ihrem Ehemann Hans Arp (1886-1966) der darauf bestanden hatte, dass seine Werke nur noch mit ihren gemeinsam ausgestellt würden, was mit zu ihrer Rezeption als Frau von Arp beigetragen hat – und einer Ausstellung mit 130 ihrer Werke im Kunstmuseum Solothurn (2003) ist dem ebenfalls kleinen und international kaum bekannten Aargauer Kunsthaus in Aarau mit «Heute ist Morgen» (23.8.2014 bis 16.11.2014) die bisher grösste weltweit gezeigte Taeuber-Arp-Retrospektive gelungen.
Besonders gelungen ist die Ausstellung dank der thematischen Ordnung der Werke und Genres, der Glasvitrinen, die es ermöglichen, dreidimensionale Objekte von allen Seiten zu betrachten – wie beispielsweise eine mit Glasperlen bestickte Tasche – und da Querbezüge zwischen den unterschiedlichen Kunstrichtungen geschaffen wurden. Ihr Gesamtkunstwerk, bestehend aus Möbeln im Stil der Neuen Sachlichkeit, Lampen, Taschen, von den Hopi inspirierte Dada-Kostüme, geometrische Formen in Öl auf Leinwand, Linienzeichnungen in Notizbüchern, eindrückliche Marionetten, bei denen sie die Verbindungselemente zeigte, sowie Tanzperformances in Dokumentarfilmen zeugen von der Signifikanz ihres Lebens und Schaffens.
Vielseitige Künstlerin
Die beiden Filme gewähren Einblick in ihren Alltag. Als Tänzerin trug sie eine Maske und blieb anonym, da sie sonst ihre Stelle an der Kunstgewerbeschule verloren hätte. Die Filme zeigen auch die ephemere Innenarchitektur beispielsweise der Strassburger Aubette, in welcher Taeuber und Arp mit dem niederländischen Maler und Architekten Theo van Doesburg dreidimensionale Kunstwerke schufen, in der Meinung, dass Menschen im Kunstwerk selbst sein sollten, dass das Ideal des neuen modernen Menschen mit der Kunst zu leben uns sich intellektuell zu entwickeln habe. Van Doesburg erwähnte seine Kollegen aber kaum. Mit dem Honorar plante sie ein Haus und liess es für die beiden in der Nähe von Paris erbauen. Mit 40 beginnt sie in Galerien neben Giacometti, Kandinsky und Arp international auszustellen. In den 1930er-Jahren betätigte sie sich als Mitherausgeberin der französisch-amerikanischen Zeitschrift «plastique plastique» und war Mitglied verschiedener Künstlervereine. Ihre Linienzeichnungen entstehen v.a. in Grasse, wo das Material – Farbe, Leinwände et cetera – knapp war.
Mangelnde Anerkennung
Dass die Ausstellung, 71 Jahre nach ihrem Tod, nicht in einem grösseren Kunstmuseum, zum Beispiel in Basel oder Zürich gezeigt wird, ist bezeichnend für die noch immer fehlende Anerkennung Taeuber-Arps. Diese wird nicht zuletzt in einem am 21. August ausgestrahlten «Tagesschau»-Beitrag deutlich, in dem Moderator Florian Inhauser die Ausstellung ankündigte, indem er sie lediglich als eine der wichtigsten Schweizer Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts bezeichnete und beifügte:
«Sie hat Bilder gemalt, Marionetten gebastelt, Kleider designed …»
Zwar wird Taeuber-Arp heute nicht mehr, wie zu Lebzeiten, als Frau von Arp oder als «Beruf: Hausfrau», wie an ihrem Todestag, wahrgenommen, aber auch noch nicht als Pionierin der modernen Kunst gewürdigt. 1916 brach sie radikal mit dem Kunstverständnis und erprobte als eine der ersten Frauen überhaupt die Abstraktion. Wie ihre Dadaisten-Kollegen hat sie das Selbstverständliche immer wieder infrage gestellt. Man möge bei ihren Bildern an Paul Klee (1879–1940) denken, der möglicherweise von ihr inspiriert war, denn einige ihrer Bilder in ähnlichem Stil sind vor seinen ab der Mitte der 1910er- und in den frühen 1920er-Jahre entstanden.
Ausstellung wirft Fragen auf
Auch an Piet Mondrian (1872-1944), Joan Miró i Ferrà (1893-1983) und Robert Delaunay (1885-1941) mögen ihre Bilder erinnern, und ihre Möbel an Donald Judds (1928-1994) Minimal Art, aber die Rezeption, die ihr bisher zuteil wurde, bleibt weiter hinter ihren männlichen Kollegen zurück. Auf eindrückliche weise gelingt es dem Aargauer Kunsthaus mit der Ausstellung «Heute ist Morgen» zu zeigen, dass die bisher mangelnde Anerkennung keineswegs gerechtfertigt ist. Im Jahre 2014 fragt frau sich deshalb: «Warum ist gestern noch zu früh für heute?» Warum können wir die Leistungen einer Frau, die sich seit den 1910er-Jahren, Jahrzehnte vor dem Frauenstimmrecht in der Schweiz, einen solchen Handlungsspielraum erkämpfte und solche Werke schuf, nicht würdigen? Die Ausstellung, die noch bis am 16. November im architektonisch sehr interessanten Kunsthaus unweit des Aarauer Bahnhofs zu sehen ist, hat bei mir viele Fragen über die Rolle der Frau in der Gesellschaft damals und heute aufgeworfen, ist sehr empfehlenswert – wer weiss, wann die Werke Taeuber-Arps das nächste Mal ausgestellt werden?
- Stauffer vs. Stauffer – Florian Oegerli über Michael Stauffers «Ansichten eines alten Kamels»
- Ibrahams Opfer – Kutlug Atamans «Kuzu»