gesichtet #148: Vom Barackendorf zum Bässlergut
Von Michel Schultheiss
Wie lange es schon her ist, seit der letzte Fischotter hier vorbeigehechtet ist, weiss wohl niemand. Nicht nur vom Wassermarder, auch vom Bach ist kaum noch etwas übrig. Der Name Otterbach erinnert an einen Kanal, der von der Wiese abgeleitetet wurde. Laut Namenbuch soll er im 18. Jahrhundert auch mal als Krebsbach bezeichnet worden sein. Heute verläuft grösstenteils unterirdisch.
Der verschwundene Otterbach scheint symptomatisch für die Gegend zu sein: Es ist eine Ecke Basels (eingezwängt zwischen DB-Gleisanlagen, Wald, Fluss und Zollanlage), die für das Verdrängte steht. Abgesehen von den Grenzgängern und dem einen oder anderen Jogger im Wald zieht es nicht viele Leute in diesen etwas vergessenen Teil Kleinhüningens. Vita-Parcours, Rotlicht-Schuppen, Gefängnis, Asylanten: Hier prallt Unterschiedliches aufeinander. Die Feuerstellen des Naherholungsgebiet Lange Erlen werden etwa nicht nur zum Vergnügen genutzt, sondern auch dann, wenn das «Empfangszentrum» gleich nebenan bereits seine Tore geschlossen hat. Gleich daneben wird das Gefängnis gerade ausgebaut. Reaktionen darauf haben kürzlich für Schlagzeilen gesorgt. Der Slogan «Burn Bässlergut» ist zurzeit an manchen Fassaden Basels zu lesen.
Der Name der attackierten Einrichtung geht auf eine Familie Bässler zurück. Sie war die letzte Besitzerin des Hofguts Otterbach – bis der Staat 1962 das Grundstück erwarb. Siebzehn Jahre später wurde dort die Empfangsstelle für Asylbewerber erstellt, 2000 das Ausschaffungsgefängnis. Seit mehreren Jahren dient es auch für den Vollzug kurzer Freiheitsstrafen. Immer wieder kommt es zu Demos zum Ausschaffungsgefängnis. «Bässlergut einreissen, nicht erweitern»: Flyer mit dieser Aufschrift sind gerade sind im Umlauf.
Nur so am Rand: Selbst das Bässlergut entzieht sich nicht den Bewertungsmechanismen des Internets. Nicht nur Hotels, Restaurants und Sehenswürdigkeiten, sondern auch hier haben Leute rezensiert, die schon mal Erfahrungen damit gemacht haben:
Auch etwas abseits vom Bässlergut geht es weiter mit den verdrängten Ecken des Dreiländerecks. Eine Strasse zweigt ab in Richtung Hafen und Kläranlage ab, eine andere über den Zoll Otterbach nach Weil am Rhein. Als erstes taucht ein heruntergekommener Schuppen in rosaroten Farbtönen mit der Aufschrift «Lady Christine» auf. Gleich daneben ein Lokal, das dann aber wirklich leer ist, das «Royal». Dazwischen stehen Wohnhäuser mit Gärten, allesamt mit hohen Zäunen, um sich von dieser Nachbarschaft abzuschirmen.
Einer der wenigen Lichtblick in dieser Gegend ist wohl die bblackboxx auf der Basler Seite. Jawohl, es gibt sie noch immer, das einstige Kioskhäuschen, das sich so mancher Definition entzieht und als eine Art Antwort auf das Bässlergut hier steht. Irgendetwas zwischen Kunstlaboratorium von Aktivisten und Begegnungsort zwischen Asylsuchenden und der Stadt. Die Betreiberin organisiert gelegentlich «No-Border-Rundgänge». Wie sie beobachtet, sei es nie gelungen, den Medien zu vermitteln, was die Box eigentlich will. «Meistens verbuchen Journis das Ganze als Flüchtlingscafé mit Charityprogramm», meint sie auf Anfrage von «Zeitnah». So einfach sei es aber nicht: Die politischen Beweggründe der bblackboxx-Leute würden oft ausgeblendet.
Auch wenn es nicht direkt mit der heutigen Spannungssituation rund ums Bässlergut zu tun, lohnt es sich auch mal auf die Geschichte der Otterbach-Gegend zurückzublicken. Schon lange vor dem Gefängnis und den zwielichtigen Bars schauten manche Leute mit Argwohn auf diesen Stadtteil hinab. Wie Paul Hugger in seinem Kleinhüningen-Buch festhält, wurde gegen Ersten Weltkriegs beim Otterbach eine Barackensiedlung errichtet. Sie war für Flüchtlinge bestimmt – hier also schon mal ein Anknüpfungspunkt zu heute, wenn auch in umgekehrter Richtung. Später fanden dort Schweizer Familien eine Bleibe, die von der Wohnungsnot betroffen. Die Chemie brauchte nämlich nach dem Krieg Arbeitskräfte, doch es mangelte an Wohnraum.
Als man in den Dreissigerjahren die Siedlung aufheben wollte, wehrten sich die Bewohner. Die Baracken blieben bis in die Fünfzigerjahre bestehen. Dafür ist die abschätzige Bezeichnung «Negerdörfli» überliefert. Das war ein geläufiger Spottname im deutschsprachigen Raum, der auf die Form dieser Siedlungen gemünzt war. Überall dort, wo gleichförmige Bauten sich aneinanderreihten, tauchte der Name auf, so auch im Riehener Kornfeldquartier, auf dem Bruderholz und in Wyhlen, oft auch bei Genossenschaftsbauten der Zwanzigerjahre. Offenbar stellten sich manche Zeitgenossen so die Form einer Siedlung in exotischen Gefilden vor.
Wie Paul Hugger schreibt, soll es zwischen dem «Negerdörfli» und dem Rest Kleinhüningens nicht viel Kontakt gegeben haben. Gewissermassen nahm die Barackensiedlung also schon die heutige Situation vorweg: Die Otterbach-Gegend mit dem Bässlergut ist ein anderes Basel. Vielleicht für eines, das so mancher nicht gerne sehen will.
- Orientierungslose Männer – Simon Stones «The Daughter»
- Krude Ideologie eines überschätzten Meisters – Terrence Malicks «Song to Song»
Von 2006 – 2016 befand sich an der Freiburgerstrasse 80 zwischen dem Kiosk und dem Zoll der Kulturpavillon, wo Konzerte, Lesungen und der legendäre GrenzgängerSlam stattfanden. Leider mussten wir (Barbara Preusler und Aernschd Born) 2016 den Ort unvermutet verlassen.