gesichtet #70: Die Beharrlichkeit des kauzigen Erlenkaters
Von Michel Schultheiss
Bisweilen wirft sich er den Velofahrern beinahe vor die Räder, als müsste er seine Tollkühnheit stets aufs Neue beweisen: Der überaus anhängliche Kater namens Lucky, welcher unermüdlich den Leuten auf dem Fahrradweg der Langen Erlen abpasst, war schon vor anderthalb Jahren ein Thema bei «Zeitnah». Trotz der ganzen Flut von kitschigen Miezenbildern auf facebook und Foto-Blogs hat der Text über jenen eigenartigen Kater anscheinend die Runde gemacht: Via Mitarbeiter der Industriellen Werke Basel wurde kürzlich die Katzenhalterin Ulrike Schönherr auf den Zeitnah-Text aufmerksam und hat sich auch beim Schreibenden gemeldet.

Einsam auf dem bisweilen tristen Veloweg nimmt er stets an alle Herannahenden ins Visier: Lucky, eine Katzenprominenz in der Naherholungszone (Foto: smi).
Daher ist das Geheimnis um den weissen Erlkönig und sonderbaren Kauz der Katzenwelt auch endlich gelüftet: Die besagte Frau hat den Kater vor etwa sieben Jahren in diesem Wald aufgelesen. Sie machte sich Sorgen um die Streunekatze und brachte ihn zum Tierarzt, um herauszufinden, ob er gechipt war. Dies war der Fall und so konnte die «Finderin» Kontakt mit den Besitzern aufnehmen. Diese hatten Lucky einst aus dem Tierheim geholt, was aber nicht funktionierte: Stets büxte der Kater aus, um die nahe bewaldete Grundwasserzone der Langen Erlen aufzusuchen. Von seiner Familie der Eigenbrötler nichts mehr wissen. Daher beschloss Ulrike Schönherr, das Tier bei sich zuhause in Lörrach aufzunehmen – im Glauben, dass er den Weg in die Langen Erlen schon nicht finden wird. Denkste: Was sich der Kater einst in den Kopf gesetzt hatte, liess sich auch dort nicht aus ihm austreiben. Keine zwei Monate später war er schon wieder weg. Nach wochenlangem Suchen mit Vermisst-Plakaten kam aus, dass er schon wieder in den Langen Erlen gelandet ist. Während eines Jahres holte sie ihn immer wieder ab, doch kaum frei gelassen machte er sich wieder auf in seine Wahlheimat, als ob er über einen Kompass verfügen würde.
Eines Tages brachte ihn ein besorgter Katzenfreund ins Tierheim. Die Besitzerin aus Lörrach erfuhr dort, dass Lucky anscheinend schon immer ein Flair für die Wälder hatte: Das Tierheim hatte ihn an die vorherige Familie vermittelt. Ursprünglich wurde er aber in einem Wald bei Münchenstein aufgesammelt. Vermutlich war daher die «Wildnis» schon immer seine Heimat.
Ganz auf sich selbst gestellt ist der etwas verschrobene Kerl auf vier Pfoten aber nicht: Immerhin versorgt ihn das IWB-Team mit Futter, Schlafplatz und Streicheleinheiten. Auch ein paar Riehener Freunde der Besitzerin um den Kater. Vor den vielen Hunden in den Langen Erlen ist er stets auf der Hut und versteckt sich rechtzeitig. Einmal im Jahr wird die Erlenkatze zum Tierarzt gebracht und wieder in den Wald zurückgebracht. «Da hoffe ich immer, dass keiner schaut und denkt, ich setzte meinen Kater aus», meint Schönherr. «Einmal als ich ihn gerade aufgelesen hatte, fuhr allerdings gerade die Polizei vorbei und hat gefragt, was ich da mache – man hat mir aber geglaubt», erinnert sich die verhinderte Katzenhalterin.
So wartet die Katzenprominenz der Naherholungszone tagein tagaus am Wegrand auf neue und altbekannte Spaziergänger und Velofahrer. Wäre Lucky ein Mensch, so wäre er vielleicht ein etwas schrulliger und eigenbrötlerischer Geselle, den man aber trotzdem gern haben muss – eine Art Stadt- oder Dorforiginal auf vier Beinen eben.
- Suche nach Freiraum – Tomasz Wasilewskis «Floating Skyscrapers»
- Zitat der Woche: Alan Moore, Watchmen