Russischer Standoff – Kirill Sokolovs «Why Don’t You Just Die!»
In Kirill Sokolovs Russland geht die Post ab. Drei Menschen wollen mit Papa Andrej, einem korrupten Cop, abrechnen – einer von ihnen weiss aber nicht so genau, weshalb.
Andrej (Vitalij Chaev) ist eine Legende. Der Polizist wird von seinen Kollegen geradezu verehrt. Doch nicht alle wollen sein Gesicht länger sehen – allen voran seine Tochter Olja (Evgenija Kregžde), die ihren Freund auf den Papa ansetzt. Aber leichter gesagt als getan – und ist der Papa wirklich ein Kinderschänder, wie die Tochter behauptet?
Der Regisseur Kirill Sokolov legt eine überstylische Komödie mit Blut vor – sehr viel Blut. Besonders ins Auge, pardon: die Ohren, sticht dabei auch die Musik, die manche vielleicht als etwas aufdringlich empfinden mögen, die aber den blutigen Spass eigentlich noch verstärkt und unterstützt. Reminiszenzen an Morricone sind dabei sicherlich gewollt; aber auch zahlreiche andere Stile klingen an, von Hip-Hop bis Klassik. Um was es eigentlich geht? Wir leben nach wie vor in postsowjetischen Zeiten, in denen das Geld König ist.
In einer Schlüsselszene verlangt der Chef im Restaurant von Olja einen «hand job» – sonst hat sie ihren Job gesehen. Vielleicht ist das die Urszene, die alles in Bewegung bringt – der russische Titel heisst übersetzt «Stirb, Papa» – und nicht nur Olja will mit ihrem korrupten Papa abrechnen. Das ist nicht Papas Kino, sondern das Kino der Kinder, die mit der Generation der Eltern Schluss machen wollen. Durchaus kunstvoll-blutig umgesetzt von Regisseur Sokolov, der mit «Papa, sdochni» seinen ersten Langspielfilm vorlegt.
Besonders bezeichnend dabei: Andrejs Kompagnon Jevgenič ist nur unter seinem Patronymikon bekannt, was einerseits auf die Nähe zwischen den zwei kriminellen Geistern schliessen lässt; andererseits verweist der Name aber eben auf den Vater, vielleicht auch den Papa Andrej, dem zumindest seine Frau alle Schandtaten zutraut und trotzdem nie etwas dagegen unternehmen würde. Und genau dies ist es ja, was das patriarchale System ausmacht; ein System, das mit Trump, Putin, Erdogan, Bolsonaro, Orban und vielen anderen ja heute wieder stärker ist – aber doch immer auch in Frage gestellt wird, wie auch dieser Film zeigt.
Da passt es auch, dass der Film zwischen der Perspektive von Olja, Matvej, Papa/Jevgenič wechselt – die Mutter bleibt da aussen vor. Sie ist nur das Opfer eines Systems, das sie eigentlich in ihrem Inneren ablehnt, dem sie aber aus Loyalität zu ihrem Mann die Treue hält. Sie ist das absolute Gegenteil einer emanzipierten Frau – der feuchte Traum der Rechten.
«Papa, sdochni». Russland 2018. Regie: Kirill Sokolov. Mit Aleksandr Kuznecov, Vitalij Chaev, Evgenija Kregžde, Michail Gorevoj, Elena Ševčenko, Igor Grabuzov u.a. Basler Premiere am 21. Februar 2020 im B-Movie, www.b-movie.ch
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