Ein Wikinger im Tankstellenshop – Thomas Daneskovs «Wild Men»
In seinem neuen Film zeigt der dänische Regisseur Thomas Daneskov Männer auf der Suche nach sich selbst in einer Welt, die nicht mehr ganz so kriegerisch ist wie die ihrer Vorfahren, der Wikinger. Hier treffen sich «Fargo», «Nord», «Drunk» und «Kraftidioten». Nicht verpassen!
Der Däne Martin lebt im Wald, irgendwo in der norwegischen Pampa. Er überfällt widerwillig einen Tankstellenshop – schliesslich lebt der Mann nicht vom Jagen alleine. Kurz darauf lernt er Musa kennen, einen kriminellen Dänen mit Migrationshintergrund. Bald schon sucht die Polizei beide …
Grossartig, wie Thomas Daneskov die norwegischen Wälder («skov» heisst Wald) zeigt – und wie er die skandinavische Männlichkeit seziert. Das ist mindestens so spannend wie Thomas Vinterbergs «Drunk». Letztlich geht es in beiden Fällen um Männer auf der Suche nach sich selbst – hier allerdings mit einer kleinen Einschränkung. Musa (sein Name ist die arabische Form von Moses) mit seinen migrantischen Wurzeln hat wirklich eine andere Perspektive; er versteht gar nicht, wie Menschen im Westen freiwillig im Wald leben, während andere Menschen verhungern oder vor sich hinsiechen, in einem Flüchtlingslager oder in einem Kriegsgebiet. Auch Musas kriminelle Kompagnons leben eher die traditionelle, vermeintlich ganz normale, eben brutale Männlichkeit und haben so wohl gar keine Zeit für die Überlegungen, die sich Martin macht – vielleicht auch einfach, weil die eigene Midlife-Crisis noch weit weg ist.
Auch der Polizist Øvvind steht für eine andere, traditionelle Männlichkeit – er hat eigentlich wenig Verständnis dafür, wenn sich einer seiner Untergebenen einfach (quasi) in den (selbst verordneten) Vaterschaftsurlaub verabschiedet – mitten in der Ermittlung …
«Vildmand» zeigt also auch, das ganz verschiedene Vorstellungen über Männlichkeit und Authentizität koexistieren – im Zentrum steht aber sicher Martins Krise. Da muss es auch nicht verwundern, wenn seine Frau sich mit den zwei kleinen Töchtern aufmacht, um ihn zu suchen – sie ist, wie der Regisseur im Interview sagt, der einzige vernünftige Mensch im Film. [1] Sie akzeptiert die Welt, wie sie ist. Alle anderen wollen sie eigentlich mit Gewalt verändern … oder auch ohne: Wenn der Polizist im Tankstellenshop Leistungen bezieht, denkt er nicht daran, diese auch zu bezahlen. Anders als der moderne Wikinger muss er auch gar nicht Gewalt androhen. Er nimmt sich einfach so, was er will. Wie in den guten alten Zeiten: Da musste sich ja der Chef auch für nichts rechtfertigen. Daneskov zeigt diesen Diebstahl nur ganz beiläufig – gerade darin kommt aber wohl die Essenz seines Films zum Ausdruck. Ein packendes Werk!
«Vildmænd». Dänemark 2021. Regie: Thomas Daneskov. Mit Rasmus Bjerg, Zaki Youssef, Bjørn Sundquist, Marc Ilsø, Sofie Gråbøl, Jonas Bergen Rahmanzadeh u. a. Deutschschweizer Kinostart am 24. März 2022.
[1] https://cineuropa.org/en/interview/405969/
- Die Immanenz des Lebens – Juho Kuosmanens «Compartment No. 6»
- Ein Plattsprecher in der Banlieue – Samuel Theis‘ «Petite Nature»