Ein Traum in einem Traum – Gaspar Noés «Vortex»
Gaspar Noé legt seinen wahrscheinlich besten Film seit «Enter the Void» vor – anders als früher zeigt sich der frankoargentinische Filmemacher diesmal von einer sanften Seite, bleibt dabei aber seinen wichtigsten Themen natürlich treu …
Ein altes Ehepaar, er Filmemacher, sie Psychologin. Gesundheitlich sind beide weit weg von besseren Zeiten – sie ist eindeutig dement, auch er ist eigentlich immer überfordert. Der Sohn, der selber nur dank Betreuung überleben kann, macht, was er kann … er besucht Mamy und Papy mit seinem kleinen Sohn, Kiki. Doch die verwirrten Grosseltern können sich nicht mehr freuen …
Gaspar Noés neuer Film ist einerseits stilistisch herausragend, mit Splitscreen arbeitet er so, wie man es wohl noch nie gesehen hat. Andererseits ist sein neuer Film auch besonders berührend, vielleicht ähnlich wie «Enter the Void», ohne aber das Überwältigende dieses früheren Films. Interessant ist auch ein Vergleich mit «Love», in dem sich Noé auf das Leben von jungen Paaren, von jungen Eltern konzentriert.
Untreue und Überforderung sind in beiden Filmen wichtige Themen, auch das Traumartige ist in seinem Filmen immer wieder sehr stark ausgeprägt. Der von Dario Argento, dem Kultregisseur von Werken wie «Suspiria» und «Phenomena», dargestellte Vater, zitiert denn auch Edgar Allan Poe: «Das Leben ist ein Traum in einem Traum.» Seine Frau wird dargestellt von Françoise Lebrun, bekannt aus dem von Jim Jarmusch verehrten Kultfilm «La maman et la putain» – für Jarmusch eine der Inspirationsquellen zu «Broken Flowers».
Der Film beginnt wie immer bei Noé mit dem Abspann. Dann kommt ein Video: «Mon amie la rose», ein Song aus den Jugendtagen des Paares – auch hier geht es um den Tod; das Lied wurde inspiriert vom Tod der Schauspielerin Sylvia Lopez. Dann beginnt der Albtraum – sowohl in «Love» als auch der Vater in «Vortex» sprechen selber von einem Albtraum; dieses Albtraumhafte ist in allen von Noés Filmen präsent. Eine der für den Schreibenden besonders schrecklichen Szenen: die Mutter entsorgt Notizen, Papiere des Vaters in der Toilette.
Ein packendes Werk, das trotz über zwei Stunden Laufzeit eine andere Seite des Regisseurs zeigt, in dem alle wichtigen Themen von Noé aber doch zum Zug kommen. Noé ist eben ein echter Autorenfilmer, der kompromisslose Werke schreibt und in Szene setzt. Daran musste man auch schon vor «Vortex» nicht zweifeln – Noé nimmt dabei diesmal stilistische Elemente u. a. aus seinem letzten Film «Lux Aeterna» wieder auf.
«Vortex». Frankreich 2021. Regie: Gaspar Noé. Mit Dario Argento, Françoise Lebrun. Alex Lutz u. a. Deutschschweizer Kinostart am 21. April 2022.
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