Welcome to the Fat Farm
Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl widmet den dritten Teil seiner Paradies-Trilogie der Jugend.
Während die Mutter in Kenia weilt («Paradies: Liebe») und die Tante ihren Glauben lebt («Paradies: Glaube») wird die übergewichtige Tochter Melanie (Melanie Lenz) in das Diät-Camp geschickt, wo die Pfunde purzeln sollen. In Wirklichkeit wird sie dort aber mit einer ganz anderen Realität konfrontiert, die mit Gewichtsverlust gar nichts zu tun hat: Sie verliebt sich in den Arzt und Leiter (Joseph Lorenz) und versucht schliesslich den Ausbruch zusammen mit ihrer neuen Freundin Verena (Verena Lehbauer).
Vielleicht gibt es keinen Ort, an dem junge, übergewichtige Menschen so wenig Chancen haben, ihre Figur in den Griff zu bekommen wie in diesem Camp: Es ist tatsächlich durchaus verblüffend, wie wenig Disziplin dort herrscht. Da darf es auch nicht verwundern, wenn die zwei Mädchen Zugang zur Küche haben und dort Süssigkeiten stibitzen. Und der Arzt schafft es nicht, seiner jungen Verehrerin Grenzen zu setzen. Der Sporttrainer wiederum redet zwar viel von Disziplin, aber nicht nur Melanie und Verena ignorieren ihn gekonnt – zumindest dann, wenn sie nicht gerade im Training sind.
Geht es hier also um menschliches Versagen, insbesondere der Erwachsenen? Vielleicht. Mehr noch scheint aber das System selber so morsch zu sein, dass Veränderung gar nicht möglich ist. Nicht nur wird hier garantiert niemand schlank, möglicherweise wird sogar der einzige Kursteilnehmer, der nicht übergewichtig ist, in diesem Umfeld tatsächlich noch selber übergewichtig. Es ist dabei nicht klar, weshalb der schmächtige Junge (der eher untergewichtig wirkt!) überhaupt zugelassen wurde. Vielleicht ist dies ein Hinweis auf ein völlig verfehltes Schlankheitsideal, das Magersucht und Fettsucht gleichermassen fördert. Die Ernährungsberaterin singt mit den Jugendlichen «if you’re happy and you know it, clap your fat». In der Stupidität dieses Liedes (bzw. dieser läppischen Abwandlung des repetitiven Kinderlieds «If You’re Happy and You Know It») zeigt sich auch die Hoffnungslosigkeit und Infantilisierung des Diät-Camps. Aber glücklicherweise sind die «Insassen» ja alle noch jung – und gerade deshalb ist «Paradies: Hoffnung» vielleicht doch Seidls hoffnungsvollster Film überhaupt und auch wohl der hoffnungsvollste Film der Trilogie. Die Hoffnung befindet sich aber ganz klar ausserhalb des Camps.
«Paradies: Hoffnung». Österreich/Frankreich/Deutschland 2013. Regie: Ulrich Seidl. Mit Melanie Lenz, Verena Lehbauer, Joseph Lorenz, Michael Thomas, Viviane Bartsch u.a. Deutschschweizer Kinostart: 20.6.2013.
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