Mystische Reise in Finsternis und Licht – João P. Rodrigues’ «O ornitólogo»
Grosse Filmkunst: vom heiligen Antonius, zurückgekommen als Ornithologe, der von zwei chinesischen Pilgerinnen belästigt wird und in eine archaische Welt reist, bis er am Schluss seinen Weg zurück zu seinen Wurzeln findet. Nicht verpassen!
Fernando (Paul Hany) ist Ornithologe. In Portugal, seiner Heimat, beobachtet er seine Studienobjekte in ihrem natürlichen Habitat. Doch aufgrund einer Unachtsamkeit verunfallt er und wird schliesslich (ist er eine Wasserleiche oder lebt er noch?) von zwei chinesischen Touristinnen (Han Wen und Chan Suan) gefunden, lesbischen Pilgerinnen auf dem Jakobsweg. Sie haben eine unangenehme Überraschung für ihn in petto. Schliesslich gelingt ihm aber die Flucht und eine Reise immer weiter in die Vergangenheit und wieder zurück beginnt…
João Pedro Rodrigues’ Film ist ein wirkliches Meisterwerk, ein christlich-blasphemisches Werk, das Terrence Malick nie machen würde: nicht nur, weil er stilistisch ganz andere Ziele verfolgt, sondern eben auch inhaltlich. Sein Katholizismus ist ein anderer. Gesprochen wird in Rodrigues’ Film neben Portugiesisch und etwas Englisch und Mandarin auch Lateinisch und Mirandés, einer iberoromanischen Minderheitensprache, die einen älteren Lautstand bewahrt, der früher auf der ganzen iberischen Halbinsel verbreitet war. «O ornitólogo» erinnert an einen anderen iberischen Film, und zwar «Las brujas de Zugarramurdi», der einen ebenfalls entführt in eine archaische Welt des Atavismus. Während aber bei Álex de la Iglesia natürlich Humor und Action gross geschrieben werden, zeichnet sich João P. Rodrigues’ Film vielleicht durch eine typisch lusitanische Melancholie aus – der Film richtet sich aber natürlich auch nicht an ein so breites Publikum wie de La Iglesias Hexen-Opus.
«O ornitólogo» ist ein grossartiges Werk, das zum Denken anregt und auch etwas an Fellinis «Satyricon» erinnert – nicht nur, weil in beiden Filmen auch etwas Lateinisch gesprochen wird. Anders als bei Mel Gibsons pseudoauthentischem Jesus-Film «The Passion of the Christ» geht es hier aber natürlich nie um ein Abbild der Realität, vielmehr ist «O ornitólogo» nicht zuletzt für das Publikum eine Reise in eine immer fantastischer werdende faszinierende, mystische Welt… eine schräge Welt im «wahrsten» Sinne des Wortes (bzw. besonders in einem übertragenen, queeren Sinn!). Pasolini würde sich über diesen völlig zu Recht in Locarno ausgezeichneten Film zweifellos freuen!
«O ornitólogo». Portugal/Frankreich/Brasilien 2016. Regie: João Pedro Rodrigues. Mit Paul Hany, Xelo Cagiao, João P. Rodrigues, Han Wen, Chan Suan u.a. Basler Premiere am 24. August 2017 im Stadtkino Basel; weitere Spielzeiten unter www.stadtkinobasel.ch
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