Das Leben des Anderen
In seinem neuen Kurz- und Kürzestgeschichtenband «Die Dinge daheim» erforscht der Schriftsteller Christoph Simon die Eigenheiten und persönlichen Ansichten unserer Alltagsgegenstände.
Von Daniel Lüthi
Die Pandemie hat die Welt immer noch im Griff. Es wäre langweilig, hier den zigsten Beitrag zu den globalen oder noch nicht absehbaren Konsequenzen der Krise zu schreiben. Was jedoch klar ist: Wir verbringen nach wie vor viel Zeit zu Hause. Zeit, um über vieles nachzudenken. Auch über die Dinge im Alltag.
Christoph Simon ist dem Leben der tagtäglichen Gegenstände nachgegangen und präsentiert das kleine Büchlein «Die Dinge daheim», wo all die Sachen, die wir sonst nur gebrauchen, ohne ihnen gross Aufmerksamkeit zu schenken, endlich selbst zu Wort kommen. Vom Wecker bis zur Feuerlöschdecke hat jeder und jede etwas zu sagen – mal offener, im Streitgespräch, stellenweise aber auch fast komplett im Stillen und nur für sich selbst. Auf den ersten Blick scheint dies kaum erwähnenswert zu sein. Häufig liest sich etwas anfangs wie Kalauer oder eine Platitüde, um nur zwei Zeilen weiter dann auf einmal doch noch tiefgründiger zu werden:
Da staut sich manchmal richtig was auf, meinte das Bügeleisen.
Dann lässt du Dampf ab, ja, sagte das Bügelbrett.
Ich vergehe vor Sorgen, und du drehst dich ab. Zu viel Gerede, da klappe ich zusammen. Ich mache Sorgen gern mit mir selber aus.
Ich werde anfällig. Die Düsen verkalkt. Wasser läuft aus. Die Sohle wird nicht mehr richtig heiss. Und ich hab was an der Heizspirale.
Solche und weitere Einblicke in die Tragikomik des Alltags machen den Reiz von «Die Dinge daheim» aus. Das Buch ist schnell gelesen, bleibt harmlos, ohne dass dies als negativ aufgefasst werden sollte. Im Leben der Gegenstände gibt es keine plötzlichen dramatischen Wendungen oder detaillierten psychologischen Feinschliff. Bei mehr Länge der Texte wäre dies vielleicht entstanden, doch dann wären wir vermutlich bereits im Fantastischen. Simon tritt nie wirklich über die Schwelle des Realismus. Reissnagel oder Schachfiguren werden nicht lebendig und laufen auf einmal umher – alles spielt sich in ihren festgelegten Dimensionen ab, während sie weiter daliegen.
Gerade dadurch entsteht beim Lesen von «Die Dinge daheim» das seltsame Gefühl, in eine Privatsphäre der Dinge einzudringen, in der wir eigentlich nichts zu suchen haben. Denn auf eine aktive Person treffen wir im Buch nie. Die Menschen sind zwar noch da, aber im Hintergrund, stille Besitzer*innen der Objekte. Nie treten sie in Erscheinung oder übernehmen die Erzählung. Fast scheint es so, als bräuchte es sie gar nicht mehr. Ein leicht apokalyptisches Echo schwingt da beim Lesen mit. «Meine schiere Existenz stiftet Fernweh, dachte der Globus.» Doch jemand, der oder die dieses Fernweh empfinden oder sogar umsetzen könnte, ist nicht präsent.
Liest man Simons Kurzgeschichten als Kommentar zur Pandemie, ist das ein subtiler Kniff, aber vielleicht auch zu gegenwärtig und einseitig interpretiert. Für einen Augenblick die Perspektive eines Kühlschrankmagneten oder einer Wärmflasche einzunehmen, entlockt auf jeden Fall auch so ein Lächeln.
Christoph Simon
«Die Dinge daheim»
März 2021
Broschur., 80 S.
ISBN: 978-3-905846-61-4
CHF 15.–/EUR 13.–
Erschienen bei edition taberna kritika
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