Im Ruhm ertrinken – Andy Strässle
von Andy Strässle
Marilyn Monroe, Prinzessin Diana, Edie Sedgwick. Auf den ersten Blick gibt es wenig, was die Schauspielerin mit der Prinzessin und die Prinzessin mit der Symbolfigur der wilden Sechziger verbindet. Ein Roman und zwei Filme versuchen den Ikonen auf die Spur zu kommen.
Das faszinierendste Experiment wagt Monica Ali mit ihrem Roman «Untold Story» (dt. «Die gläserne Frau»). Der dritte Roman der Londonerin erzählt von Prinzessin Diana. Lady Di lebt in einer amerikanischen Kleinstadt, nachdem sie ihren Tod vorgetäuscht hat. Es ist das Leben einer Frau, die so berühmt war, dass sie zuerst sterben musste, um weiterleben zu können. Die Geschichte beginnt in jenem Moment, als ein Fotograf sie zufällig im namenlosen amerikanischen Hinterland entdeckt und trotz Gesichts-OP wiedererkennt und weiss: Das ist die Story meines Lebens!
Im Wechselspiel zwischen Lady Di, die ihr Leben, die Krone und vor allem ihre zwei Söhne hinter sich liess, um wieder sich selbst zu sein zu können, und dem Fotografen, der zwar kurz mit sich ringt, sich dann aber entschliesst die Prinzessin doch zu outen, zeichnet Monica Ali ein psychologisch präzises Bild des Ruhms, und davon, wie er die Identität überwältigen kann und kontrastiert das mit den vorgefertigten Schlagzeilen, die dem Paparazzo bereits durch den Kopf gehen.
Für die ehemalige Di geht es um ihr Leben. Dafür hat sie einen hohen Preis bezahlt: Abschied von ihren Söhnen, ein lebenslanges Versteckspiel. Für den Fotografen geht es um Honorarbeträge, die ihm rauschartig durch den Kopf schiessen. «Untold Story» ist eine faszinierende Reflektion darüber, wie das grelle Scheinwerferlicht und die Omnipräsenz der Medien eine Identität bis zur Auflösung zerstören können.
Während Di aus einfachen Verhältnissen stammte, wurde Edie Sedgwick in eine reiche, wenn auch zerrüttete Familie hineingeboren. Trotz tollen Schauspiels von Sienna Miller, die es schafft, das «Factory Girl» unschuldig und etwas unbeholfen naiv wirken zu lassen, bleibt der Film als Erzählung zu oberflächlich.
Die Faszination von Andy Warhol oder diejenige für seine Experimentalfilme nachzuvollziehen fällt einem nicht leicht. Bei «Factory Girl» leidet man nicht mit der Heldin, sondern man versteht einfach nicht, warum sie so einem seltsamen Trottel nachlaufen soll. Auch die Szene, als sie sich zu Bob Dylan aufs Motorrad setzt, versteht man nicht wirklich. Aber es waren halt die «wilden Sixties», scheint uns der Film zu sagen: Da hüpfte man zuerst in die Kiste, bevor man sich fragte, mit wem.
Tragisch, dass Sienna Millers Rolle in einer schlechten Inszenierung untergeht, schlimmer aber noch, dass es der Film es verpasst zu ergründen, wie sich der Mythos und der Ikonenstatus, den Sedgwick durch die Zusammenarbeit mit Wahrhols Factory erhält, auf sie als Person auswirken, oder wer sie als Person überhaupt war.
Einfacher, weniger marktschreierisch und viel schöner umgesetzt, ist «My week with Marilyn» vom letzten Jahr. Der Film porträtiert auf schlichte, jedoch liebevolle Art eine der berühmtesten Schauspielerinnen überhaupt. Die relativ schlichte Handlung: Marilyn Monroe erscheint zu Dreharbeiten in London; das ist der Rahmen für die Frage, wie Marilyn Monroe funktioniert hat und letztlich wer sie war. Einer der Höhepunkte des Films ist sicherlich, wie sie bei einem Besuch in einem englischen Schloss den Filmpraktikanten, der sie begleitet, fragt: «Soll ich so tun wie sie?» – Natürlich soll sie. Und sie präsentiert den applaudierenden Bediensteten jene Posen, die diese als von Marilyn Monroe wiedererkennen und die sie zur Ikone machen. Gleichzeitig zeigt der Film die Risse, die Zweifel, die die junge Frau zunehmend quälen. Denn inzwischen wird sie vom eigenen Ruhm überragt. Sie ist unsicher, ob sie noch Marilyns Rolle ausfüllen kann, zweifelt an ihrer Qualität als Schauspielerin und es wird immer aufwendiger, ihre Starrolle auszufüllen, sie zu leben und zu überleben.
Sie muss sich mit den Göttern beschäftigen, die Ikonografie. Während zwar die Götter die Wirkung des Göttlichseins auch nicht immer überleben, so werden sie wohl selten von ihrem eigenen Abbild verschluckt. Die massenmediale Brechung und die unausweichliche Verflochtenheit des «Image» mit der Auflösung der Privatsphäre machen die beiden Filme und das Buch interessant.
«Factory Girl» wird als Film von der eigenen Oberfläche verführt: Er erzählt vom Abbild, und nicht vom Menschen Edie Sedgwick. «My Week with Marilyn» stellt den Zwiespalt der Schaupielerin und die Gratwanderung lauter und leise vor. Auch Norma Jeane Mortenson bekommt zunehmend Mühe mit ihrer Rolle, der sie nicht mehr gerecht werden zu können glaubt. Dazu kommt, dass weniger ihre schauspielerische Qualität gewürdigt wird, sondern viel mehr ihr Status als «Sexsymbol» alles überragt.
«Untold Story» öffnet die Türe in den Untergrund des Starkults. Monica Ali zeigt den Alltag einer ganz normalen Person, die einst darunter litt, dass sie keinen einzigen Schritt oder Atemzug machen konnte, ohne dass dieser interpretiert oder medial gedeutet worden wäre.
Aber auch für Alis Heldin gibt es kein Happy End. Zwar ertrinkt sie unerkannt, aber sie ertrinkt.
DVD Factory Girl, 2007
Monica Ali: Untold Story; 288 pages; Scribner, 2012, ISBN 9781451635508. Auf Deutsch: Die gläserne Frau. Droemer, München 2012, ISBN 978-3-426-19929-9.
DVD: My Week with Marilyn 2012.
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Dieser Artikel ist völlig zu Unrecht unter den Neuerscheinungen verschwunden.
Habe ihn nach ganz droben gestellt, wo er hingehört.