Affirmative Action – Daniel Ribeiros «The Way He Looks»
Der Teenager Leo ist blind. Im Alltag hilft ihm seine beste Freundin Giovana , genannt Gi. Auch seine Eltern sind immer für ihn da – vielleicht sogar zu sehr. Da kommt ein neuer Schüler in Leos Klasse – Gabriel. Gi fühlt sich zurückgestossen, steht aber immer noch zu Leo, der mit vollem Namen Leonardo heisst. Gemeine Mitschüler versuchen immer wieder, ihm Streiche zu spielen – oft auch erfolgreich. Von den Jungs ist Gabriel wohl der einzige, der sich für ihn aus anderen Gründen interessiert…
«Hoje eu quero volter sozinho» («Heute will ich alleine nach Hause gehen») ist der Film eines Heranwachsenden, der seinen Weg noch sucht. Gleichzeitig ist der Film auch eine Art brasilianische Version des US-Teeniefilms à la «American Pie» – ohne die anzüglichen Teile versteht sich. Trotzdem lösen sich auch in «The Way He Looks» alle Probleme in der Luft auf, am Schluss sind alle Freunde – und die Armut, die in Brasilien immer noch endemisch ist, kommt im vom Staat geförderten Film an keiner Stelle vor. Da wundert es auch nicht, wenn der brasilianische Staat mit seinem Logo und dem Spruch «país rico é país sem pobreza» («reiches Land ist Land ohne Armut») gleich zweimal – im Vor- und im Abspann – erscheint. Die Verharmlosung aller Probleme steht also als Credo bereits vor dem Film (und wie in vielen anderen lateinamerikanischen und spanischen Filmen erscheinen hier die Sponsoren an erster Stelle).
Nun ist es ja durchaus lobenswert, dass der Regisseur hier offenbar das Thema Blindheit und Behinderung mal anders darstellen wollte. Nur überzeugend ist das eben nicht – punkto Verharmlosung kann der Film insofern locker mit «Romeo and Juliet Get Married» (Brasilien 2005) mithalten. Nur die schöne Fotografie rettet den Film zumindest teilweise. Nun muss ja jede Komödie zumindest teilweise verharmlosen. Nur ist «Hoje…» eben nur teilweise komödiantisch angelegt; auch in stilistischer Hinsicht ist klar, dass Ribeiro mit seinem ersten Langspielfilm mehr will als nur unterhalten. Und das gelingt ihm auch durchaus – zumindest anfangs. Nicht verschweigen wollen wir aber, dass sich «Hoje… » von amerikanischen Teeniefilmen krass unterscheidet in der Darstellung der Homosexualität – ein Thema, das in Filmen wie «American Pie» natürlich von vornherein ausgespart wird. Auch dies spricht natürlich für einen Film wie «Hoje…», in dem in Nebenrollen auch Schwarze vorkommen – und am Schluss sogar angedeutet wird, dass Gi eine afrobrasilianische Liebe findet. Kurz und gut: es handelt sich bei diesem Film (trotz allem) um ein Stück brasilianische affirmative action. Wer hier aber Funk carioca erwartet, sitzt im falschen Film: die Kids hören hier David Bowie und Belle and Sebastian. Ribeiro entwirft konsequent sein ganz eigenes Brasilien – das vielleicht in einem Mittelklasse-Umfeld durchaus auch existiert. Aber ob sich dort alle Probleme in Luft auflösen wie in «The Way He Looks»?
«Hoje eu quero voltar sozinho». Brasilien 2014 . Regie: Daniel Ribeiro. Mit Ghilherme Lobo, Tess Amorin, Fabio Audi, Isabela Guasco, Lúcia Romano, Pedro Carvalho u.a. Deutschschweizer Kinostart: 14.8.2014.
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