Kolonialismus nach Innen – Ken Loachs «Jimmy’s Hall»

Nach dem Konflikt zwischen Irland und Grossbritannien und dem irischen Bürgerkrieg in «The Wind That Shakes the Barley» fokussiert Loach in seinem neusten Film «Jimmy’s Hall» auf den alltäglichen inner-irischen Konflikt nach der Staatsgründung.

Irish Free State, Irland, 1932. Nach einem längeren, von den politischen Machthabern erzwungenen Aufenthalt in den USA ist Jimmy (Barry Ward) wieder zurück in seiner irischen Heimat. Dort lebt auch noch seine alte Mutter Alice (Aileen Henry), die sich sehr freut, dass ihr Sohn wieder in ihrer Nähe ist. Weniger freut sich der Pfarrer Sheridan (Jim Norton), der von der Mutter wissen will, ob James seine politischen Ansichten und vor allem seinen politischen Aktivismus hinter sich gelassen hat. Bald schon erfüllen sich aber die schlimmsten Albträume des Klerus und der Reichen: es kommt zur Wiedereröffnung eines kulturellen Zentrums, in dem viel gelernt wird, aber auch viel getanzt wird, und vor allem: wo die Mächtigen aus Klerus, Politik und Wirtschaft nichts zu sagen haben. Dies suchen nun verzweifelt nach geeigneten Massnahmen, um den Linksaktivisten wieder auszuschaffen…

Politaktivist Jimmy ist zurück in Irland. (Bild: zVg)

Politischer Aktivismus ist (besonders im Kino) nicht gerade im Schwange in diesen Zeiten – mal abgesehen von ein paar Unverbesserlichen wie Ken Loach. Was Jimmy im Film macht, macht Ken Loach mit dem Film: er versucht, die Menschen zu erziehen. Dabei kommen aber oft Humor, Poesie und Unterhaltung nicht zu kurz – Loachs letzter Spielfilm «The Angel’s Share» war denn auch eine waschechte Komödie. Mit «Jimmy’s Hall» kehrt Loach nun zum Drama zurück – auch wenn es ab und zu auch etwas zu lachen gibt. Vor allem zeigt Loach in seinem (nach «The Wind That Shakes the Barley») zweiten Film über Irlands Geschichte, wie detailliert, wie präzis und differenziert sein Blick (meistens) ist: es stimmt zwar, das Filme wie «Land and Freedom», «Carla’s Song» teilweise durchaus polemisch, manchmal geradezu naiv erscheinen. Doch die Polemik ist immer gerechtfertigt, und nach dem Konflikt zwischen Irland und Grossbritannien und dem Bürgerkrieg in Irland in «The Wind That Shakes the Barley» fokussiert Loach nun in «Jimmy’s Hall» ganz auf den ganz alltäglichen inneririschen Konflikt nach der Staatsgründung, der zeigt, wie sehr die kolonialen Strukturen von den neuen Machthabern im Irish Free State (1922-1937) übernommen wurden. Das ist das wirkliche Drama des antikolonialistischen Kampfes: die Antikolonialisten übernehmen im Grunde genommen exakt die Werte des Gegners; zwischen britischer Kolonialmacht, Irgun, Hamas und Fatah, britischer Staatsmacht und IRA, spanischem Zentralstaat und der ETA besteht eben nur ein gradueller Unterschied – auch wenn dies nationalistische Kreise meist nicht wahrhaben wollen. Kurz und gut: Ken Loach erklärt mit seinem neuen Film nichts weniger als die Welt damals – und heute. Ein starker Film.

«Jimmy’s Hall». UK/Eire/Frankreich 2014. Regie: Ken Loach. Mit Barry Ward, Simone Kirby, Andrew Scott, Jim Norton, Aileen Henry, Sorcha Fox u.a. Deutschschweizer Kinostart: 21.8.2014.


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