Das Echo von Facebook – «Virtual Baggage» im Englischen Seminar

Zum zweiten Mal nach 2012 setzt sich die Theatergruppe Upstart Entertainment mit den Höhen und Tiefen menschlicher Gefühle auseinander. «Zeitnah» berichtet von der Hauptprobe der neuen Inszenierung «Virtual Baggage».

Von Daniel Lüthi

Am Anfang scheint alles in Plastik gehüllt. Meterhoch von den Dachbalken hinab entfalten sich Plastikplanen und überziehen Wände, Boden und sogar Tische und Stühle mit einem hellgrau glänzenden Deckmantel. Der sonst so mittelalterliche Theaterkeller des Englischen Seminars der Uni Basel wirkt auf einmal steril, penibel, fast schon pathologisch. Im Hintergrund schwach das Echo von Fleetwood Mac’s «Don’t Stop» und dem Refrain «thinking about tomorrow» … etwa ein Thema des Abends?

Noch ist die Bühne leer und steril - in «Virtual Baggage» stecken die Gefühle oft unter einer Decke. zVg

Noch ist die Bühne leer und steril – in «Virtual Baggage» stecken die Gefühle oft unter einer Decke. zVg

Upstart Entertainment ist eine der bekanntesten englischsprachigen Theatergruppen Basels. Seit 2002 inszenieren Andrew Fernandes und Nicolaia Marston Stücke unterschiedlichster Couleur, von Bob Carlton’s Rockoper «Return to the Forbidden Planet» über die beliebten Shakespeare-Aufführungen im Innenhof des Englischen Seminars bis hin zur nun zweiten Produktion über menschliche (Un)Tiefen. Tatsächlich reflektiert die Musikwahl den Grundtenor der fünf Stücke von «Virtual Baggage»: Eine Coverversion von The Police’ «Every Breath You Take» läutet den Abend ein – passend, denn das konstante Überwachen und überwacht werden durch Facebook und soziale Netzwerke sind zentral für den ersten Teil der Aufführung.

Unterdrückte Gefühle und Reflexion

Diese beginnt wörtlich mit dem Höhepunkt einer Liebesnacht, schön dezent mit Licht und Schatten dargestellt. Was danach folgt, ist jedoch wenig romantisch: Statt neben dem Partner liegenzubleiben kommt der obligate Griff zum Handy bzw. Computer, um die neuesten Neuigkeiten von Freunden aufzurufen. Das kalte Licht vom Laptop unterstreicht die gänzlich andere Atmosphäre des Bühnenbilds und ruft das Gefühl von Plastik und Leichenhalle in Erinnerung. Die Grundidee des ersten Stücks ist einfach: Was, wenn die Freundin drei Jahre zuvor tragisch verstorben ist, man aber immer noch mit ihr auf Facebook befreundet bleibt? Ist dies Teil der Trauer oder bereits morbide? Und was, wenn auf einmal neue Status-Updates erscheinen? Das Stück nimmt langsam, aber sicher eine Wende zum Unheimlichen, ohne den roten Faden von Baggage – Gefühle, die wir wie sperriges Gepäck mühselig mit uns herumschleppen – zu verlieren.

Ob virtuell oder real, weggepackte Gefühle sind immer noch Gefühle. zVg

Ob virtuell oder real, weggepackte Gefühle sind immer noch Gefühle. zVg

Die fünf Teile der Aufführung drehen sich um Vergebung und Verfehlung, um unterdrückte Gefühle und nicht zuletzt um Reflexion. Dass das zweite Stück eindeutig zu lang und zu schleppend abläuft, wird durch das stete Wechselspiel zwischen Humor und Ernst in den folgenden Kurzstücken mehr als wettgemacht: Eine kaputte Familie, die erst im Jenseits versucht, die nötigsten Bruchstellen im Hausfrieden zu kitten; eine Frau, welche ihr Date aus Verlustangst mit Drogen paralysiert; ein Schriftsteller, der sowohl mit seinem neuen Roman wie auch mit seiner schlafwandelnden Frau zuschlage kommen muss – hier zeigen sich die Stärken und die Dynamik von «Virtual Baggage». Die meisten Figuren wirken bei aller Varianz lebensnah, kritische Themen wie Suizid oder Homophobie bleiben nicht unberührt, werden aber auch nicht verklärt oder gar am Schluss in einem Happy End aufgelöst. Baggage, so könnte man sagen, wird man nicht los. Es fällt einem höchstens etwas leichter, sie zu tragen.

«Virtual Baggage» von Upstart Entertainment
Weitere Aufführungen am 16., 17., 20. und 21. Februar 2015
Im Englischen Seminar der Uni Basel, Nadelberg 6
Preis: CHF 28.- regulär, 19.- reduziert (Studenten/AHV/SBKV)
Tickets auf www.ticketino.com, bei Bider & Tanner,
bei allen Postfilialen oder unter 0900 441 441

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