Hamlet, Selfies und die Kunst der Kürze: «Shakespeare in the Courtyard» im Englischen Seminar
Die Basler Theatergruppe Upstart Entertainment inszeniert zum dritten Mal Shakespeare im Innenhof des Englischen Seminars der Uni Basel. «Zeitnah» berichtet von der Premiere.

Shakespeare zum Dritten: Upstart Entertainment begeistert einmal mehr mit klassischem Stoff, neu umgesetzt. zVg
Von Daniel Lüthi
«Famous English playwright identified as mass murderer» prangt die Titelzeile in den Puckwick Papers, dem Programm zur neuesten Produktion von Upstart Entertainment. Eine genaue Analyse der Folios von William Shakespeare habe ergeben, dass der wohl berühmteste Dramaturg aller Zeiten unter Geistesstörungen und mordlustigen Wahnvorstellungen litt, die er auf Papier und durch seine Figuren ausleben konnte. Da trifft es sich gut, dass die in Basel basierte englischsprachige Theatergruppe Upstart Entertainment genügend Beweismaterial liefern kann, indem es die drei klassischen Tragödien Shakespeares – «Romeo and Juliet», «Macbeth» und «Hamlet» – in modifizierten Versionen aufführt.
Es herrscht eine heimelige und leicht graue Atmosphäre im Innenhof des Englischen Seminars der Uni Basel. Regen ist angekündigt, für eine Aufführung im Freien eigentlich Gift, doch die massive Linde mitten auf dem kleinen Platz bietet Schutz für Schauspieler und Requisiten wie auch für den grössten Teil des Publikums. Und dieses erscheint zahlreich an diesem Abend, nach zwei sehr erfolgreichen Aufführungen von «Shakespeare in the Courtyard» («A Midsummer Night’s Dream» 2011, «Twelfth Night or What You Will» 2014) sowie zahlreichen weiteren Inszenierungen ist Upstart Entertainment in Basel längst kein unbeschriebenes Blatt mehr.
Die Kunst der Abkürzung
Drei Tragödien an einem Abend, mindestens zwei davon wären mehrstündig in Originallänge – das klingt anstrengend. Glücklicherweise entschied man sich dazu, gekürzte Versionen der Klassiker aufzuführen. Zwei davon stammen vom britischen Dramatiker Sir Tom Stoppard, doch den Anfang macht die Eigenproduktion von «Romeo and Juliet», in Szene gesetzt vom mitwirkenden Schauspieler Patrick Deslarzes. Ein Glücksgriff: Die tragische Liebesgeschichte, in abgewandelter Form schon tausendfach gesehen und gehört, wird mit Humor und Moderne durchbrochen und auf den Punkt gebracht. Der Anfangsauftritt von Juliet (Yüksel Lee Esen) mitsamt den Capulets mutet an wie eine Episode von «Keeping Up with the Kardashians»: Zahllose Selfies werden geschossen, das Tanzfest am Ende des 1. Akts wird zur angesagten Party, während sich Benvolio und Tybalt fast schon ein Rap-Battle liefern.
Dennoch bleibt der tragische Kern des Stücks bestehen, hier symbolisiert durch ein konfisziertes Smartphone anstelle eines nicht ausgelieferten Briefes im Original. Die Botschaft und Konsequenz bleiben dieselbe: Romeo (Jorian Pawlowsky) erfährt nicht, dass Julia in Wahrheit nicht tot ist, und entschliesst sich zum Freitod. Die Modernisierung des Dramas funktioniert ebenso wie die Kürzung des Stoffes auf etwa eine Stunde – die Wucht der tragischen Ereignisse erhöht sich sogar aufgrund der Beschleunigung und Beschränkung aufs Wesentlichste.

Stimmiges Licht- und Schattenspiel bei einer der Proben zu Shakespeare in the Courtyard. © Adriano Leanza
Leider geschieht das Gegenteil im nächsten Stück, Tom Stoppards «Cahoot’s Macbeth». Was fast schon als Zusammenfassung eines ohnehin schon kurzen Dramas beginnt, verliert sich nach der Hälfte in Reinterpretation und Metakommentar. Der Auftritt eines Zensors inmitten der Aufführung von «Macbeth» ist anfangs witzig und bricht schön die Illusion des Theaters, bleibt dann jedoch wortwörtlich sitzen und dominiert das Stück unnötig. Ironischerweise wird dem vielleicht prägnantesten Werk Shakespeares genau das zum Verhängnis, was Romeo und Julia zuvor so erfrischend scheinen liess: Statt einer radikalen Reduzierung aufs Zentrale sehen wir hier langgezogene Spiegelfechterei.
Der Hamlet nach Hamlet
Demgegenüber steht der klare Höhepunkt des Abends: «Hamlet», ebenfalls nach Tom Stoppard. Ein schweres, bedeutungsvolles Stück Shakespeares erfährt eine Begradigung, ohne an Stärke oder Nachhall zu verlieren. Jeder «Hamlet» steht oder fällt mit dem Hauptdarsteller, und Jorian Pawlowskys Darstellung des Dänenprinzen begeistert. Er ist wütend, von Wahn getrieben, allein seine Postur drückt Anspannung und Unberechenbarkeit aus. Die Lichtinstallation im Innenhof, auch bei «Macbeth» genial eingesetzt, lässt die Figuren wahlweise wie einsame Statuen oder gespenstische Silhouetten erscheinen.
Die Schlussszene von «Hamlet» reiht Tod für Tod stakkatomässig aneinander, und die Absurdität dieser Beschleunigung wird gleich noch einmal wiederholt. Quasi als Fussnote des Abends wird der ganze «Hamlet» erneut aufgeführt – in knapp drei Minuten. Figuren sterben wie Fliegen, Ophelia tritt auf und fällt praktisch sofort tot um, das Drama verwandelt sich in ein hyperaktives Stück Monty Python. Ein idealer Ausklang.
Upstart Entertainment gelingt es einmal mehr, das Publikum im Herzen von Basel mit Shakespeare zu begeistern. Mit wenigen Längen und vielen mutigen Kürzungen dreier Dramen bietet «Shakespeare in the Courtyard» prägnante Unterhaltung.
«Shakespeare in the Courtyard» von Upstart Entertainment im Englischen Seminar, Nadelberg 6
Weitere Aufführungen am 21., 24., 25. und 28. August sowie am 1., 2. und 3. September.
Beginn: 20.30 Uhr, Türöffnung um 19.30 Uhr
Preis: CHF 34.- regulär, 24.- Studenten/AHV/IV
Tickets erhältlich auf upstart-entertainment.ch, ticketino.com, bei Bider & Tanner und der Post
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