Im Reich der Calafia – Shirin Neshats «Land of Dreams»

Der neue Film von Shoja Azari und Shirin Neshat («Looking for Oum Kulthum») ist eine faszinierende Reise in die Welt der menschlichen Träume, die auch die unsere ist – und nicht zuletzt ein hochpolitisches Statement gegen Überwachungsstaat und religiösen Wahn.

Die im Iran geborene Amerikanerin Simin Hakak (Sheila Vand) arbeitet für die US-Volkszählungsbehörde. Sie sammelt die Träume der Bevölkerung. Zu Hause spielt sie selber ihre liebsten Träume nach, verkleidet sich und übersetzt die Träume ins Persische. Zusammen mit Alan Villin (Matt Dillon) hat sie den Auftrag, in den USA gestrandete iranische Revolutionäre zu beobachten. Diese leben abgeschieden in der Wüste von New Mexico …

Es ist ein Film, wie man ihn noch nie gesehen hat. Shirin Neshat und Ko-Regisseur Shoja Azari (wie Neshat Künstler mit iranisch-amerikanischen Wurzeln) haben das Drehbuch von Jean-Claude Carrière und Shoja Azari packend verfilmt. Es ist ein Film über die Geschichte der USA und des Irans, ein Film aber auch über den Menschen und seine Dämonen – den Menschen im allgemeinen.

Oder ist dies vielleicht eine falsche Fährte? Schliesslich bezieht sich der Künstler David (Gaius Charles) in seiner Kunst ganz spezifisch auf die US-Geschichte, auf die Geschichte der Sklaverei. Natürlich ist aber die Sklaverei ein Teil nicht nur der US-Geschichte, sondern der menschlichen Geschichte an sich.

Cheers! (Bild: zVg)

Und was hat es auf sich mit dem jungen Dichter Mark (William Moseley), der sich unsterblich in die Beamtin aus dem Land der Dichter (Khayyam, Hafez, Sadi, Rumi) verliebt hat? Shirin Neshat und Shoja Azari entwerfen in ihrem Film ein Bild der amerikanischen Gesellschaft, das gleichzeitig umfassend und ganz spezifisch ist, das viele der Wunden der USA anspricht und doch auch einzelne Menschen und ihre Schicksale und Träume zeigt.

Die mexikanische Mutter und ihre Tochter im Haus der reichen Anglos (wobei die Hausherrin, gespielt ausgerechnet von Isabella Rossellini, bezeichnenderweise abwesend ist, nur per Video im Hause präsent …), die Flüchtlinge (Uiguren? Mongolen?), die sich vor der offiziellen Befragung fürchten … auch die armen weissen Amerikaner kommen zu Wort, Shirin Neshat und Shoja Azari zeichnen aber auch sie mit viel Zuneigung, trotz ihrer rassistischen Phobien: Mark gehört nämlich auch zu ihnen … es sind ihre Ängste – und ihre Hoffnung – die hier gezeigt werden.

Ein reicher Film, den man gesehen haben muss! Dies ist bereits die dritte Zusammenarbeit von Shirin Neshat und Shoja Azari. Und ein würdiger Abschluss für Jean-Claudes Carrières Karriere als Drehbuchautor. Der Film ist denn auch dem 2021 verstorbenen Franzosen gewidmet.

«Land of Dreams». USA/Deutschland 2021. Regie: Shoja Azari, Shirin Neshat. Mit Sheila Vand, Matt Dillon, Isabella Rossellini, Anna Gunn, William Moseley, Gaius Charles u. a. Deutschschweizer Kinostart am 24. November 2022.


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