gesichtet #6: Das heimliche Verschwinden der Weltwoche

Von Michel Schultheiss

Nach dem Sturm aufs kalte Buffet gehen üblicherweise diejenigen, welche zu spät eintreffen, leer aus. Das nervige Prinzip des «S’het solangs het» gilt auch für die geistige Nahrung: Wer sich in der Universitätsbibliothek mit NZZ, FAZ oder mit der «Zeit» die Zeit totschlagen möchte, ist in der Lese-Ecke an der richtigen Adresse. Auch wenn der Ort ziemlich grau und düster ist und zudem im Winter vom Durchzug geplagt wird, tut das seiner Popularität keinen Abbruch. Wenn er auch nicht allzu einladend wirkt, so ist er mit seinem Leseangebot doch manchen nur mit Gratiszeitungen bestückten Cafés weit voraus. Es ist daher kein Zufall, dass auch viele ältere Semester ihren Weg zum reichhaltigen Zeitungsbuffet finden.

Leseecke UB

Die «gemütliche» Zeitungs-Ecke der Uni-Bibliothek lädt offenbar auch Zeitungs-Langfinger ein (Foto: smi).

Auffallend bei der Lese-Ecke ist allerdings, dass manche Zeitungen jeweils am Donnerstag ziemlich schnell aus der frisch eingetroffenen Auswahl verschwinden. Besonders ein Blatt wird ziemlich schnell vermisst. Um welches handelt es sich wohl? Es ist nicht der «Blick», denn Boulevardblätter werden an diesem akademischen Ort schon gar nicht abonniert. Auch die BaZ und der Tages-Anzeiger sind nicht gemeint, denn die werden meistens brav und vorschriftgemäss zurückgebracht. Nein, die «Weltwoche» ist das Blatt, welches sich des Öfteren selbständig macht. Über die Gründe des wöchentlichen Verschwindens der umstrittenen Wochenzeitung kann nur spekuliert werden. Laden die politischen Positionen des Meinungsblattes den Zorn mancher Studierender oder Bibliotheksbesucher auf sich? Wäre dem so, so sähe sich die Zeitungsredaktion wohl in ihrer Annahme bestätigt, dass die Schweizer Unis von Linken unterwandert sind und somit die Weltwoche aus den Hallen des Wissens verbannt haben wollen. Es könnte aber auch ganz anders sein: Vielleicht krallt sich jeweils ein eingefleischter Fan das universitäre Allgemeingut, um sich damit aus dem Staub zu machen. Trifft diese Annahme zu, so wäre auch hiermit eine wiederholt geäusserte Behauptung der Weltwoche bestätigt: Der Service public wird von dreisten Nutzniessern ausgehöhlt. Allerdings würden sich in diesem Fall die geschmähten Schmarotzer just in den Reihen der Leserschaft der klagenden Zeitung befinden.

 

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