DWVEBDMSBHBEBDS #4

DWVEBDMSBHBEBDS von Gregor Szyndler

Von Gregor Szyndler

Leoluca Bissegger schnalzt. Er redet auf den Vater ein. Er begleitet sein Geständnis mit expressionistischer Physiognomie. – Auch als MP3 und als Kalenderereignis.

„Schnalz’ gefälligst nicht so selbstzufrieden, du alter Affe!“, donnert Hans Bissegger seinen Sohn Leoluca an, der zu sehr im Reinen ist mit sich selbst, um diese unmissverständliche Anweisung nicht misszuverstehen. Sei es die frühe Morgenstunde, sei es Trotz: Anstatt die Zeichen zu lesen, die der Vater aussendet, anstatt die – bildlich gesprochen! – Rauchwölkelchen, die Hans Bisseggers Ohren und Nasenlöchern entsteigen, zu deuten als das, was sie sind, anstatt nämlich angesichts seines langsam sich steigernden Brummens und Fauchens, Brummelns und Zischens, die Notbremse zu ziehen und nicht mehr gar so selbstzufrieden wie ein gemästeter, alter Affe zu schnalzen und sich schnalzend auf den Brustkasten zu trommeln, lässt Leoluca bloss ein Bröckelchen nach dem anderen aus den Blättern auf seine Zunge rieseln, zerspeichelt eines nach dem anderen zwischen Gaumendach und Zunge, zermalmt den Rest, auf den Backenzähnen kauend, affig schnalzend, herausfordernd sich auf den Oberkörper trommelnd. Leoluca freut sich, weit herum sichtbar, gewissermassen raumfüllend, über den erdig-harzig-luftigen Geschmack, und er klopft sich, ebenso unübersehbar, für die gute Qualität des Stoffes auf die Schultern: Es ist die Zufriedenheit des vor dem eigenen Sortiment alles andere als zurückschreckenden Grossisten angesichts seiner neuesten, brillant guten Lieferung. Zudem dürfte Leoluca mit dem Gedanken spielen, gleich hier und mit Filter und Reispapier zu holen und erst einmal ein flottes Geschoss zu drehen, nicht zuletzt, um den Vater zu beschwichtigen, und zuletzt wohl auch nicht für sich selbst, nach dieser ganzen frühmorgendlichen Aufregung.

Mit einem fragenden Blick fixiert er den Vater, mit seinem Strick um den Hals, schnalzend noch einmal mehrere Zacken lauter. Hans Bissegger reagiert darauf in keiner Weise, denn er widmet sich nach wie vor den von Leoluca vorgelegten, leer gefressenen Blättern. Was er sieht, ist, was er nicht sieht, ist, was er nicht sieht, weil er es nicht sehen kann, weil es da nichts zu sehen gibt: Leolucas Aufsatz, gebündelt und in all seiner Inexistenz, macht ihn baff und sprachlos, so. Dann, nach einer Weile, wundert Hans Bissegger sich:

„So etwas gibst du als Aufsatz ab?“ – Leoluca bringt, dieses eine Mal wenigstens, kein Wort heraus. Auch der Vater schweigt, in den ‚Aufsatz’ seines Sohnes vertieft. Was er zu sehen kriegt, ist mit den Gänsefüsschen mehr schlecht als recht angedeutet, denn Typografie und Wort scheitern vor dem Inhalt von Leolucas Aufsatz. Leolucas Aufsatz muss gezeigt werden, denn er lässt sich mit Worten nicht nachstellen.

Aufsatz_Leoluca_Neu

Hans Bissegger, nach beendeter ‚Lektüre’, mustert die Blätter, dreht sie mehrmals ungläubig um, als erwarte er, im Morgenlicht eine verborgene Schrift zu entdecken, Zitronensafthieroglyphen, über die man nur mit dem heissen Bügeleisen zu fahren brauchte, um sie sichtbar zu machen, weisse Spuren jetzt noch im Schnee, hinterher verwandelt zu tragfähigen Zeichen. Er reibt an den Blättern, beschnuppert sie. Aber nichts da, wir haben es ja gesehen. Still zieht es sich zwischen den beiden in die Länge, still nicht nur als Abwesenheit sämtlicher Geräusche, sondern still als Fülle und Überfülle von Gedanken und klanglosen Verwünschungen. Noch aber sitzen sie alle, die Masken, beim Vater, beim Sohn, und keine verrutscht oder bricht oder fällt. Leoluca wird nun doch endlich einmal unruhig; hüstelt. Endlich, nach einer in die verschiedensten Richtungen ungeheuer geräumig sich ausbreitenden Weile, wiederholt Hans Bissegger, mit den Blättern wedelnd:

„So etwas gibst du als Aufsatz ab?“

„Stark, was?“, sagt Leoluca Bissegger.

„Spinnst du? Das ist Arbeitsverweigerung!“

„Du unterschätzt das.“

„Was?“

„Meine Arbeit!“

„Arbeit?“ – er zieht das Wort in die Länge, muhend fast, wie jedes Arbeitstier, auf den Strick um seinen Hals angesprochen. „Aber so etwas huscht doch ganz von allein aufs Papier!“

„Eben nicht!“, versetzt der Sohn.

„Erklär es mir!“, verlangt der Vater.

Diese Nachfrage, für deren Vorwegnahme man nun wirklich kein Hellseher oder empfindelnder Moderator sein muss, erwischt Leoluca Bissegger auf dem falschen Fuss. Die Augen weiten sich. Es durchzuckt ihn. Leolucas Arme kommen ins Rudern. Sein Tonfall bricht.

„Na, öhm, ich … ja — ich — Paps, ich … ––– bis zuletzt … tja, also … hmm … zum Beispiel: ich hab’s! … Gewissensbisse!!! — genau — so war es! — so! … bange Frage: Soll ich — soll ich nicht ??? !!! *** +++ Habe ich so viel Chuzpe, %%&&=== !!!“

Leoluca gibt sich mit Leib und Seele der Koordination seines Gesichtsausdrucks, seines Tonfalls, seiner Körpersprache hin, merkt ob so viel Synchronisierung nicht, wie sein Vater, wie soll man sagen –: kippt.

„Couragiert, man muss schon sagen, Chapeau!“, meint Hans Bissegger. Weiter hinten im Stapel entdeckt er, von Leoluca geschickt unter Entwürfen und Reinschriften versteckt, das von der Lehrerin unterschriebene Kommentarblatt. Hans Bissegger kramt es hervor. Den Rest des Stapels rollt er zusammen und zieht ihn dem Sohn über die Rübe.

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8 Gedanken zu “DWVEBDMSBHBEBDS #4

  1. Thomas Müller

    Ich bin ein heftiger Leser deiner Fortsetzungsnovelle.

    Eine differenzierte Meinung dazu muss ich erst noch zusammenbrauen.

    So viel auf jeden Fall ist schon klar: ich freue mich immer auf Mittwoch und diese Lektüre!

  2. Stefan

    Ich bin gespannt, was in deiner Serie noch alles passiert!

    Aus den Kommentaren zu schliessen kommt sie bei vielen Leuten gut an.

  3. Lil

    Gross! Es lässt sich unterdessen nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, dass der Abschnitt zu kurz sei, da die zeitlich Distanz zum nächsten Abschnitt die Länge des einzelnen Abschnitts doch sehr relativiert.

  4. gsz

    Danke, lieber Thomas, das freut mich aber sehr!

    Bin schon gespannt auf die kommenden Mittwoche, auf die Kommentare von Dir;)

  5. gsz

    Glaubs mir, Stefan, gespannt bin ich auf. Kann es jeweils kaum erwarten.

    Es bringt immer mal wieder Kommentare, über die ich mich freue – ist ja sonst ein bisschen «einbahnstrassig», das Ganze.

    Also, ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch!

  6. gsz

    Danke, Lil!

    Ja, so eine Woche kann schon lang sein.

    Und wenn es mal doch zu kurz sein sollte, zeigt es unten ja auch immer die andern Episoden an, dann kannst Du die Geschichte neu «aufrollen» …

    Oder sonst vertiefst Du dich einfach in den «Aufsatz» von Leoluca, gell?

  7. gsz

    Danke, AJA, das freut mich sehr. Dann mach‘ ich also mal weiter so.

    Die einzelnen Episoden werd‘ ich wohl ein bisschen länger machen künftig.


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