Tanz und Gesellschaft

Auch mit ihrem neuen Film erzählt Valérie Donzelli eine Familiengeschichte – mehr noch aber die Geschichte einer Liebe, die Alter und Klasse transzendiert.

Joachim Fox (Jérémie Elkaïm) stammt aus einer Familie, in der viel getanzt wird. Von Beruf aber ist seine Schwester Véro (Regisseurin Donzelli) Pöstlerin. Hinter seinem Rücken hat sie ihn bei einem wichtigen Wettbewerb angemeldet. Zufällig lernt Joachim die Leiterin einer prestigeträchtigen Tanzschule, Hélène Marchal (Valérie Lemercier), kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick – oder vielleicht eher auf den ersten Schritt. Der viel jüngere Jérémie und die vornehme Hélène? Passt das? Vor allem Hélènes treue Freundin Constance (Béatrice De Staël) findet keineswegs Gefallen an dieser Sache. Daher unternimmt sie so einiges, um die scheinbar absurde Liebe (die anfangs aber weniger als Liebe, sondern eher als Zwang zur Nähe daherkommt) zu sabotieren.

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Liebe auf den ersten Schritt, trotz Alters- und Klassenunterschieden: Die vornehme Tanzschulleiterin Hélène und der viel jüngere Jérémie (Foto zVg).

Liebe, Gender, Klasse, Tanz – Valérie Donzelli legt mit ihrem dritten Spielfilm «Main dans la main» ein vielfältiges, zudem auch sehr unterhaltsames und komödiantisch geprägtes Werk vor, auf jeden Fall leichtere Kost als «La guerre est déclarée» – zumindest auf den ersten Blick. Der Film sagt dabei nie klar, was es mit der Freundschaft zwischen Constance und Hélène auf sich hat. Die ungleichen Freundinnen lenken dabei durchaus von dem ab, was wirklich zwischen Joachim und Hélène steht: das Alter und vielleicht mehr noch die Klasse. Aber dies ist zweifellos Absicht: gerade so erhält der Film eine poetische Note, die einem sozialkritischen Drama à la Leigh oder mehr noch Loach abgeht.

Gleichzeitig wirkt der Film nicht ganz so abgehoben wie viele andere französische Filme aus dem Arthaus-Bereich und kann deshalb auch einem breiteren Publikum ans Herz gelegt werden. Was aber nicht heisst, dass die Klassenthematik verharmlost wird… oder vielleicht doch? Schon in «La guerre est déclarée» kommen die Eltern mit einem Schrecken davon; ihr Kind ist gesund. Auch «Main dans la main» ist insofern eher ein Märchen – aber doch ein schönes, intelligentes Märchen. Und  solche brauchen auch erwachsene Menschen immer wieder – schliesslich ist das Leben selbst ja schon deprimierend genug. Das Leben ist eben das Leben, während der Film eher «Big Fish» von Tim Burton ist: eben Fiktion. Zweifellos gibt es Regisseure, die versuchen, den Film ebenso deprimierend zu gestalten wie das Leben. Ob das aber die Essenz des Kinos ist? Zugegeben: ein Film wie Pablo Bergers «Blancanieves» zieht seine Macht gerade auch aus dem desillusionierenden Schluss. Der Film muss beides bieten: Illusion und Desillusionierung. Donzelli setzt dabei ganz klar auf das Prinzip Hoffnung. Claude Goretta hat natürlich recht, wenn er sagt, dass das französische Kino fundamental bürgerlich ist. Wenn dabei aber so charmante Filme wie  «Main dans la main» herauskommen, ist das gar nicht so schlimm. Einen Goretta oder zwei könnte aber das französische Kino schon vertragen.

 «Main dans la main».  Frankreich 2012. Regie: Valérie Donzelli. Mit Valérie Lemercier, Jérémie Elkaïm, Béatrice De Staël, Valérie Donzelli u.a.

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