Homo homini lupus – Jim Jarmuschs «Only Lovers Left Alive»
Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) sind Vampire. Er lebt in Detroit, sie in Tanger. Eine Fernbeziehung hat sicherlich ihre Vorzüge, doch Eve entscheidet sich, ihren Adam zu besuchen. In Detroit führt dieser ein zurückgezogenes Leben, doch der Musiker wird immer wieder von aufdringlichen Fans belästigt. Schlimmer noch: Eves aufmüpfige Schwester Ava (Mia Wasikowska) aus Los Angeles ist im Anmarsch…
Der Name Detroit kommt von «détroit du lac Érié» (also die Meerenge des Érié-Sees), es handelt sich um eine Gründung von frankokanadischen Siedlern. Adam und Eve leben also beide an Orten, die (teilweise) von französischer Seite kolonisiert wurden. In beiden Fällen allerdings nicht sonderlich erfolgreich, da heute sowohl in Detroit als auch Marokko nicht mehr französischstämmige Menschen den Ton angeben. Kein Wunder also, wenn ein gewisser «Kit» Marlowe (John Hurt), ein Vampir, der wie Eve in Tanger lebt, sagt, der gute französische Doktor sei nicht mehr hier, um ihn zu versorgen. Zugleich sind die Vampire bei Jarmusch bezeichnenderweise alles Weisse, WASPs (White Anglo-Saxon Protestants) sogar – also die Menschen, die in der angelsächsischen Welt als Inbegriff des Weissen gelten. Anders etwa bei Bram Stoker, wo die Gefahr vom Rand Europas herkommt: Dracula ist der Inbegriff des rassisch kontaminierten Weissen, da in ihm das Blut von vielen Rassen fliesst (laut Eigenaussage der Figur). Ebenso unklar ist die Ethnizität von vielen anderen Vampiren, z.B. dem prototypischen, von Theda Bara dargestellten Vamp in «A Fool There Was» (1915).
«Only Lovers Left Alive» ist vielleicht nicht Jim Jarmuschs bester Film, aber zugleich doch einer seiner schönsten Filme. Das liegt an den perfekten Bildern, an der poetisch-melancholischen Stimmung, am Einsatz der verschiedenen Medien (so werden die Bilder aus dem iPhone auf einem alten Fernsehbildschirm gezeigt!) und natürlich auch an der Musik. Ein wenig in die Tiefe gehender Film, hat ein geschätzter Kollege an anderer Stelle geschrieben. In Wirklichkeit ist «Only Lovers» viel mehr als nur ein schöner Film über Vampire, sondern vielmehr ein Film über den Menschen und sein Wesen selbst. Jarmusch zeigt das Schöne ebenso wie das Hässliche, er zeigt es aber vor allem mit viel Humor. Der Humor zeichnet Jarmuschs Werk ja ebenso aus wie ein melancholischer Grundtenor. Und auch diesmal spielt die Musik wieder eine sehr wichtige Rolle – nicht nur, weil Adam selber Musiker ist. Neben der Originalmusik von Jozef van Wissem sind u.a. Tracks von Pat Jabbars Kasbah Rockers, Hot Blood, Y.A.S. und Charlie Feathers zu hören. Yasmine Hamdan von Y.A.S. hat sogar einen Gastauftritt.
«Only Lovers Left Alive». UK/Deutschland/Frankreich/Zypern/USA 2013. Regie : Jim Jarmusch. Mit Tom Hiddleston, Tilda Swinton, Mia Wasikowska, John Hurt, Anton Yelchin, Jeffrey Wright, Slimane Dazi, Yasmine Hamdan u.a. Bereits im Kino.
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