Zitat der Woche – Terry Pratchett, Der Zeitdieb
Aus traurigem Anlass gibt es bei «Zeitnah» am heutigen Sonntag einen ersten kurzen Nachruf: Zum Tod von Terry Pratchett erscheint eins der besten Bonmots des berühmten englischen Fantasy-Autoren. Ein ausführlicher Nachruf mit Retrospektive folgt.
Von Daniel Lüthi
Auf den ersten Blick wäre es einfach, Terry Pratchett (1948-2015) als rein kommerziellen Autor abzutun. Pro Jahr veröffentlichte er im Durchschnitt zwei bis drei Bücher über seine fantastische Parallelwelt «Discworld», die stets auf den globalen Bestsellerlisten landeten – dazu kam noch, dass sie sowohl Fantasy als auch Humorliteratur waren. Mehrere Kriterien, die zum Schluss führen könnten, Pratchett habe seine Werke nicht nur in unglaublicher Geschwindigkeit, sondern auch ohne grossen Tiefgang geschrieben.
Weit gefehlt. Pratchett baute sich über Jahrzehnte hinweg einen Ruf als humanistisch-ironischer Autor auf, jedes neue Buch von der Scheibenwelt las sich nicht bloss als kunterbunte Parodie auf Klischees der Fantasyliteratur, sondern darüber hinaus auch als philosophischer Kommentar zu Tagesgeschehen und Weltgeschichte. Nicht zuletzt deswegen wurde Pratchett bereits zu Lebzeiten als «Dickens des 20. Jahrhunderts» geehrt: Ungerechtigkeit, Willkür und das korrumpierende Potenzial von Macht waren zentrale Themen seiner Bücher. Die Scheibenwelt präsentierte sich deswegen als Spiegel unserer Welt – vom Irakkrieg in den 1990er Jahren über gesellschaftliche Missstände bis hin zur Gender-Thematik setzte sich Pratchett mit Aktuellem und Zeitlosem auseinander. Alles verpackt in eine absurde und doch glaubwürdige Fantasy-Welt, wo Trolle und Zwerge Rassismus überwanden und Zauberer nicht unbedingt zaubern mussten, um als Zauberer zu gelten.
Aus diesem Fundus böten sich zahlreiche gute Zitate an – Pratchett hatte wie G.K. Chesterton und Oscar Wilde das Talent, sich in einem einzigen Satz punktgenau auszudrücken. Anstatt einen seiner politischen Gedanken oder Kritikpunkte zu Gesellschaft fiel die Wahl eines passenden Zitats jedoch auf einen kleinen Auszug aus «Der Zeitdieb». Die Romanfigur Wen reflektiert über Vergänglichkeit und kommt zu einem ähnlichen Schluss wie einst Albert Einstein: Philosophische Spekulation vermengt sich mit einer der wichtigsten Zutaten nicht nur von Fantasy, sondern der Natur des Schreibens und schlussendlich des Lebens selbst: Neugierde.
Wen dachte über die Natur der Zeit nach und begriff, dass das Universum von Augenblick zu Augenblick neu erschaffen wird. Deshalb, so wurde ihm klar, gibt es in Wahrheit gar keine Vergangenheit, nur die Erinnerung daran. Man zwinkert, und die Welt, die man sieht, existierte noch nicht, als die Augen geschlossen waren. Deshalb, so schlussfolgerte Wen, kann es für das Bewusstsein nur einen angemessenen Zustand geben: Überraschung. Und der einzig angemessene Zustand für das Herz ist Freude. Den Himmel, den man jetzt sieht, hat man noch nie zuvor gesehen. Der perfekte Moment ist jetzt. Freu Dich darüber.
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