Medien – Kultur – Gesellschaften: Rezension von Dominik Riedo

Wie lässt sich der (multi)mediale Kulturwandel der letzten Jahrzehnte kritisch betrachten? In seinem neuen Essayband «Medienkulturgesellschaften» geht der Philosoph Siegfried Schmidt dieser stets wiederkehrenden Frage nach und kommt zu aufschlussreichen Einsichten.

Ist eine neutrale Beobachterrolle in der Kulturkritik überhaupt möglich? Vor allem im Kontext der Digitalisierung stellt sich diese Frage von Neuem. zVg

Von Dominik Riedo

Wir alle sind an Kultur interessiert. Und weil wir damit automatisch auch mit Medien in Kontakt kommen, denn schon Bücher sind ein Medium, aber auch jene Orte, wo wir uns über Kultur informieren, also die Zeitung, das Internet, Magazine, das Radio etc., gehört es für einen abgewogenen Dialog oder ein differenziertes Denken dazu, dass frau/man ein Medium auch kritisch aufzunehmen weiss, sprich: die Quelle des Wissens über die Welt einzureihen versteht. Damit haben wir die Möglichkeit, zu verstehen, warum ein bestimmtes Medium anders funktioniert als ein anderes und wieso auf gewissen neuen Kanälen eben anders informiert wird als auf herkömmlichen. Darum ist es wichtig, dass Menschen, die etwas davon verstehen, sich ausgewogen darüber auslassen.

Siegfried Schmidt, geboren 1940, war nach Professuren in Bielefeld und Siegen von 1997 bis zu seiner Emeritierung 2006 Professor für Kommunikations- und Medienkultur an der Universität Münster. In der Zeit seiner Universitätstätigkeit war er Initiator der Texttheorie und der Empirischen Literaturwissenschaft sowie einer der Hauptvertreter des Radikalen Konstruktivismus in Deutschland und erhielt 2004 ein Ehrendoktorat der Universität Klagenfurt. Er muss also wissen, wovon er schreibt, wenn er nun ein Buch mit Beiträgen zu seinem alten Forschungsfeld veröffentlicht. Es geht darin – immer angesichts der zunehmenden und fast schon totalen Medialisierung unserer Gesellschaft – um Modi der Kulturalität, um Medien selbst und um den gesellschaftlichen Wandel, aber auch um Medien und Emotionen und schliesslich auch um Medienkritik und Meta-Medienwissenschaft.

Oder anders gesagt: Im Einzelnen geht es darin um so spannend-knifflige Fragen, warum für einen Gott die Welt kontingent sein könnte, während wir hier unter Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten leiden – und worin für uns dann die Befreiung liegen könnte (das sei aber nicht einfach so schon hier verraten!).

Oder warum es derart schwer sein kann, in einem Mediendiskurs eine Position des Beobachters zweiter oder gar dritter Ordnung zu gewinnen. Und warum es gänzlich unmöglich ist, eine neutrale Konzeptualisierung von «Kultur» herauszuarbeiten. Er zeigt aber auch, wie man sich stattdessen als Möglichkeit um eine diskursive Explizitheit und Plausibilität bemühen könnte und sollte.

Wandel in der Medienkritik

Etwas simpler dann etwa die Überlegungen zu Emotionen und ihrer medialen Darstellung und Wahrnehmung: Es scheint eigentlich ohne grosse Überlegungen klar zu sein, dass das bewusste Erleben von Emotionen auf Verarbeitungsprozessen im Kortex basiert und dass dabei vor allem die Fixierung von Aufmerksamkeit auf die emotionsauslösende Situation eine Rolle spielt; im Unterschied dazu gehen möglichst sachliche Bewertungstheorien davon aus, dass nicht die jeweilige Situation Emotionen auslöst, sondern ihre kognitive Bewertung im Hinblick auf persönliche Ziele und Bedürfnisse.

Mediengeschichtlich spannend der Essay zur sich gravierend ändernden Situation der Medienkritiker und Medienkritikerinnen in unserer Gesellschaft und ihrer Rolle für die Kultur. Die Daten, die hier zusammengetragen wurden, belegen eindrücklich, dass die Medienlandschaft sich seit den 1980er-Jahren so drastisch geändert hat wie nie zuvor in der Geschichte, auch nicht durch den Buchdruck!

Für viele Kulturarbeitende augenöffnend der Schlussbeitrag: Warum Schriftsteller und Künstler, die sich auch noch im wissenschaftlichen Umfeld bewegen, in diesem oft nicht ernst genommen werden. Schmidt spricht vom «Doppel-Leben» und was man immerhin tun könnte, um die Lage etwas zu verbessern.

Alles in allem belegt das Buch sicher, dass Kultur als Problemlösungsprogramm oder zumindest Anregungsprogramm – wenn man es denn als solches überhaupt sehen möchte – der Gesellschaften heute als Medienkultur rezipiert und beschrieben werden sollte.

Man muss Schmidt zu grossen Teilen recht geben.

 

 

Siegfried J. Schmidt

«Medienkulturgesellschaften»

Hamburg: Shoebox House, 2019

(= Sammlung Flandziu; Nr. 5)

ISBN 978-3-941120-38-9

EUR 12.-

 

 

 

 


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